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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Marcellus Stengel – ward hier mit offenen Armen empfangen, denn wenn auch weder Kaufleute noch Gelehrte seine Geistesfähigkeiten für groß hielten, so kannte man doch seine amüsante, gesellschaftliche Begabung. In der That gab er hier seine besten Vorstellungen, erzählte er hier seine besten Geschichten. Er machte am Klub-Klavier einen Virtuosen, er ahmte englische und transatlantische Schauspieler und Opernsänger nach, er gab in der harmlosesten und unterhaltendsten Art Weiberaffairen aus verschiedenen Gegenden zum Besten – denn kein Zweifel: Christian Buddenbrook war ein »Suitier« – er berichtete Abenteuer, die er auf Schiffen, auf Eisenbahnen, in St. Pauli, in Whitechapel, im Urwald erlebt hatte … Er erzählte bezwingend, hinreißend, in mühelosem Fluß, mit leicht klagender und schleppender Aussprache, burlesk und harmlos wie ein englischer Humorist. Er erzählte die Geschichte eines Hundes, der in einer Schachtel von Valparaiso nach San Franzisko geschickt worden und obendrein räudig war. Gott weiß, worin eigentlich die Pointe der Anekdote be {299} stand; aber in seinem Munde war sie von ungeheurer Komik. Und wenn dann rings umher sich Niemand vor Lachen zu lassen wußte, so saß er selbst, mit seiner großen, gebogenen Nase, seinem dünnen, zu langen Halse und seinem rötlich-blonden, schon spärlichen Haar, und ließ, einen unruhigen und unerklärlichen Ernst auf dem Gesichte, eins seiner mageren, nach außen gekrümmten Beine über das andere geschlagen, seine kleinen, runden, tiefliegenden Augen nachdenklich umherschweifen … Beinahe schien es, als lache man auf seine Kosten, als lache man über ihn … Aber daran dachte er nicht.
    Zu Hause erzählte er mit besonderer Vorliebe von seinem Comptoir in Valparaiso, von der unmäßigen Temperatur, die dort geherrscht, und von einem jungen Londoner Namens Johnny Thunderstorm, einem Bummelanten, einem unglaublichen Kerl, den er, »Gott verdamm' mich, niemals hatte arbeiten sehen«, und der doch ein sehr gewandter Kaufmann gewesen sei … »Du lieber Gott!« sagte er. »Bei der Hitze! Na, der Chef kommt ins Comptoir … wir liegen, acht Mann, wie die Fliegen umher und rauchen Cigaretten, um wenigstens die Mosquitos wegzujagen. Du lieber Gott! ›Nun?‹ sagt der Chef. ›Sie arbeiten nicht, meine Herren?!‹ … ›No, sir!‹ sagt Johnny Thunderstorm. ›Wie Sie sehen, sir!‹ Und dabei blasen wir ihm Alle unseren Cigarettenrauch ins Gesicht. Du lieber Gott!«
    »Warum sagst du eigentlich fortwährend ›Du lieber Gott‹?« fragte Thomas gereizt. Aber das war es nicht, was ihn ärgerte. Sondern er fühlte, daß Christian diese Geschichte nur deshalb mit so viel Freude erzählte, weil sie ihm eine Gelegenheit bot, mit Spott und Verachtung von der Arbeit zu sprechen.
    Dann ging ihre Mutter diskret zu etwas anderem über.
    Es giebt viele häßliche Dinge auf Erden, dachte die Konsulin Buddenbrook, geborene Kröger. Auch Brüder können sich has {300} sen oder verachten; das kommt vor, so schauerlich es klingt. Aber man spricht nicht davon. Man vertuscht es. Man braucht nichts davon zu wissen.

4.
    Im Mai geschah es, daß Onkel Gotthold, Konsul Gotthold Buddenbrook, nun sechzigjährig, in einer traurigen Nacht von Herzkrämpfen befallen ward und in den Armen seiner Gattin, der geborenen Stüwing, eines schweren Todes starb.
    Der Sohn der armen Madame Josephine, der, gegenüber seiner nachgeborenen und mächtigeren Geschwisterschaft von Seiten Madame Antoinettens, im Leben zu kurz gekommen war, hatte sich längst mit seinem Geschicke beschieden und in den letzten Jahren, besonders nachdem ihm sein Neffe das niederländische Konsulat überlassen, ganz ohne Rancüne aus seiner Blechdose Brustbonbons gegessen. Wer den alten Familienzwist in Form einer allgemeinen und unbestimmten Animosität hegte und bewahrte, das waren vielmehr seine Damen: seine gutmütige und beschränkte Gattin nicht sowohl, wie die drei ältlichen Mädchen, die weder die Konsulin, noch Antonie, noch Thomas ohne ein kleines giftiges Flämmchen in den Augen anzublicken vermochten …
    Donnerstags, an den überlieferungsgemäßen »Kindertagen«, um 4 Uhr, fand man sich in dem großen Hause in der Mengstraße zusammen, um dort zu Mittag zu speisen und den Abend zuzubringen – manchmal erschienen auch Konsul Krögers oder Sesemi Weichbrodt mit ihrer ungelehrten Schwester – und hier war es, wo die Damen Buddenbrook aus der Breitenstraße mit ungezwungener Vorliebe die

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