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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Rede auf Tonys verflossene Ehe brachten, um Madame Grünlich zu einigen großen Worten zu veranlassen und sich dabei kurze, spitzige Blicke zuzusenden … oder wo sie allgemeine Betrachtungen darüber anstellten, welche unwürdige Eitelkeit es doch sei, sich das {301} Haar zu färben, und allzu anteilnehmende Erkundigungen über Jakob Kröger, den Neffen der Konsulin, einzogen. Sie gaben der armen, unschuldigen und geduldigen Klothhilde, der Einzigen, die sich in der That auch ihnen noch unterlegen fühlen mußte, einen Spott zu kosten, der durchaus nicht so harmlos war, wie der, den das mittellose und hungrige Mädchen alltäglich von Tom oder Tony mit gedehnter und erstaunter Freundlichkeit entgegennahm. Sie moquierten sich über Claras Strenge und Bigotterie, sie fanden schnell heraus, daß Christian mit Thomas sich nicht zum Besten stand, und daß sie ihn überhaupt, Gott sei Dank, nicht zu achten brauchten, denn er war ein Hans Quast, ein lächerlicher Mensch. Was Thomas selbst betraf, an dem durchaus keine Schwäche erfindlich war, und der ihnen seinerseits mit einem nachsichtigen Gleichmut entgegenkam, welcher andeutete: Ich verstehe euch, und ihr thut mir leid … so behandelten sie ihn mit leicht vergifteter Hochachtung. Von der kleinen Erika aber, rosig und wohlgepflegt, wie sie war, mußte denn doch gesagt werden, daß sie in beunruhigender Weise im Wachstum zurückgeblieben sei. Worauf Pfiffi, indem sie sich schüttelte und Feuchtigkeit in die Mundwinkel bekam, zum Überfluß auf die erschreckende Ähnlichkeit des Kindes mit dem Betrüger Grünlich aufmerksam machte …
    Nun umstanden sie weinend mit ihrer Mutter das Sterbebett des Vaters, und trotzdem es ihnen schien, als ob selbst dieser Tod noch von der Verwandtschaft in der Mengstraße verschuldet sei, ward doch ein Bote dorthin entsandt.
    Mitten in der Nacht hallte die Hausthür-Glocke über die große Diele, und, da Christian spät nach Hause gekommen war und sich leidend fühlte, machte Thomas sich allein auf den Weg, in den Frühlingsregen hinaus.
    Er kam nur zur rechten Zeit, um die letzten konvulsivischen Zuckungen des alten Herrn zu sehen, und dann stand er lange {302} mit gefalteten Händen im Sterbezimmer und blickte auf diese kurze Gestalt, die sich unter den Umhüllungen abzeichnete, in dieses tote Gesicht mit den etwas weichlichen Zügen und den weißen Cotelettes …
    »Du hast es nicht sehr gut gehabt, Onkel Gotthold«, dachte er. »Du hast es zu spät gelernt, Zugeständnisse zu machen, Rücksicht zu nehmen … Aber das ist nötig … Wenn ich wäre wie du, hätte ich vor Jahr und Tag bereits einen Laden geheiratet … Die dehors wahren! … Wolltest du es überhaupt anders, als du es gehabt hast? Obgleich du trotzig warst und wohl glaubtest, dieser Trotz sei etwas Idealistisches, besaß dein Geist wenig Schwungkraft, wenig Phantasie, wenig von dem Idealismus, der Jemanden befähigt, mit einem stillen Enthusiasmus, süßer, beglückender, befriedigender als eine heimliche Liebe, irgend ein abstraktes Gut, einen alten Namen, ein Firmenschild zu hegen, zu pflegen, zu verteidigen, zu Ehren und Macht und Glanz zu bringen. Der Sinn für Poesie ging dir ab, obgleich du so tapfer warst, trotz dem Befehl deines Vaters zu lieben und zu heiraten. Du besaßest auch keinen Ehrgeiz, Onkel Gotthold. Freilich, der alte Name ist bloß ein Bürgername, und man pflegt ihn, indem man einer Getreidehandlung zum Flor verhilft, indem man seine eigene Person in einem kleinen Stück Welt geehrt, beliebt und mächtig macht … Dachtest du: Ich heirate die Stüwing, die ich liebe, und schere mich um keine praktischen Rücksichten, denn sie sind Kleinkram und Pfahlbürgertum? … O, auch wir sind gerade gereist und gebildet genug, um recht gut zu erkennen, daß die Grenzen, die unserem Ehrgeize gesteckt sind, von außen und oben gesehen nur eng und kläglich sind. Aber Alles ist bloß ein Gleichnis auf Erden, Onkel Gotthold! Wußtest du nicht, daß man auch in einer kleinen Stadt ein großer Mann sein kann? Daß man ein Cäsar sein kann an einem mäßigen Handelsplatz an der Ostsee? Freilich, dazu gehört ein wenig Phantasie, ein wenig Idealismus  {303} … und den besaßest du nicht, was du auch von dir selbst gedacht haben magst.«
    Und Thomas Buddenbrook wandte sich ab. Er trat ans Fenster und blickte, die Hände auf dem Rücken, ein Lächeln auf seinem intelligenten Gesicht, zu der schwachbeleuchteten und in Regen gehüllten gotischen Façade des

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