Buddenbrooks
Thunderstorm … du lieber Gott!« Als er aber eines Tages, nachdem er längere Zeit ernst und unruhig auf seinem Sessel hin und her gerückt, auch sein Pulver im Comptoir aus der Tasche zog und einen so starken und übelriechenden Qualm entwickelte, daß mehrere Leute heftig zu husten begannen und Herr Marcus sogar ganz blaß wurde … da gab es einen öffentlichen éclat, einen Skandal, eine fürchterliche Auseinandersetzung, die zum sofortigen Bruch geführt haben würde, hätte nicht die Konsulin noch einmal Alles vertuscht, mit Vernunft besprochen und zum Guten gewandt …
{343} Es war nicht dies allein. Auch das Leben, das Christian außerhalb des Hauses, und zwar meistens gemeinsam mit dem Rechtsanwalt Doktor Gieseke, seinem Schulkameraden führte, verfolgte der Konsul mit Widerwillen. Er war kein Mucker und Spielverderber. Er erinnerte sich wohl seiner eigenen Jugendsünden. Er wußte wohl, daß seine Vaterstadt, diese Hafen- und Handelsstadt, in der die geschäftlich hochachtbaren Bürger mit so unvergleichlich ehrenfester Miene das Trottoir mit ihren Spazierstöcken stießen, keineswegs die Heimstätte makelloser Moralität sei. Man entschädigte sich hier für seine auf dem Comptoirbock seßhaft verbrachten Tage nicht nur mit schweren Weinen und schweren Gerichten … Aber ein dicker Mantel von biederer Solidität bedeckte diese Entschädigungen, und wenn es Konsul Buddenbrooks erstes Gesetz war, »die dehors zu wahren«, so zeigte er sich in dieser Beziehung durchdrungen von der Weltanschauung seiner Mitbürger. Der Rechtsanwalt Gieseke gehörte zu den »Gelehrten«, die sich der Daseinsform der »Kaufleute« behaglich anpaßten, und zu den notorischen »Suitiers«, was ihm übrigens jedermann ansehen konnte. Aber, wie die übrigen behäbigen Lebemänner, verstand er es, die richtige Miene dazu zu machen, Ärgernis zu vermeiden, und seinen politischen und beruflichen Grundsätzen den Ruf unanfechtbarer Solidität zu wahren. Seine Verlobung mit einem Fräulein Huneus war soeben publique geworden. Er erheiratete also einen Platz in der ersten Gesellschaft und eine bedeutende Mitgift. Er war mit stark unterstrichenem Interesse in städtischen Angelegenheiten thätig, und man sagte sich, daß er sein Augenmerk auf einen Sitz im Rathause und zuletzt wohl auf den Sessel des alten Bürgermeisters Doktor Oeverdieck gerichtet halte.
Christian Buddenbrook aber, sein Freund, derselbe, der einst entschlossenen Schrittes zu Mademoiselle Meyer-de la Grange gegangen war, ihr sein Blumenbouquet gegeben und zu ihr {344} gesagt hatte: »O, Fräulein, wie schön haben Sie gespielt!« – Christian hatte sich infolge seines Charakters und seiner langen Wanderjahre zu einem Suitier von viel zu naiver und unbekümmerter Art entwickelt, und war in Herzenssachen so wenig wie im Übrigen geneigt, seinen Empfindungen Zwang anzuthun, Diskretion zu üben, die Würde zu wahren. Über sein Verhältnis zu einer Statistin vom Sommertheater zum Beispiel amüsierte sich die ganze Stadt, und Frau Stuht aus der Glokkengießerstraße, dieselbe, die in den ersten Kreisen verkehrte, erzählte es jeder Dame, die es hören wollte, daß »Krischan« wieder einmal mit Der vom »Tivoli« auf offener, helllichter Straße gesehen worden sei.
Auch das nahm man nicht übel … Man war von einer zu biderben Skepsis, um ernstlich moralische Entrüstung an den Tag zu legen. Christian Buddenbrook und etwa Konsul Peter Döhlmann, den sein gänzlich daniederliegendes Geschäft veranlaßte, in ähnlich harmloser Weise zu Werke zu gehen, waren als Amüseurs beliebt und in Herrengesellschaft geradezu unentbehrlich. Aber sie waren eben nicht ernst zu nehmen; sie zählten in ernsthaften Angelegenheiten nicht mit; es war bezeichnend, daß in der ganzen Stadt, im Klub, an der Börse, am Hafen, nur ihre Vornamen genannt wurden: »Krischan« und »Peter«, und Übelwollenden, wie den Hagenströms, stand es frei, nicht über Krischans Geschichten und Späße, sondern über Krischan selbst zu lachen.
Er dachte daran nicht oder ging, seiner Art gemäß, nach einem Augenblick seltsam unruhigen Nachdenkens darüber hinweg. Sein Bruder, der Konsul, aber wußte es; er wußte, daß Christian den Widersachern der Familie einen Angriffspunkt bot, und … es waren der Angriffspunkte bereits zu viele. Die Verwandtschaft mit den Oeverdiecks war weitläufig und würde nach dem Tode des Bürgermeisters ganz wertlos sein. Die Krögers spielten gar keine Rolle mehr, lebten
Weitere Kostenlose Bücher