Buddenbrooks
niedersprach … »Du machst dich lächerlich mit deinen Liebschaften, mit deinen Harlekiniaden, mit deinen Krankheiten, mit deinen Mitteln dagegen …«
»Oh, Thomas«, sagte Christian, schüttelte ganz ernsthaft den Kopf und hob in etwas ungeschickter Weise einen Zeigefinger empor … »Was das betrifft, das kannst du nicht so ganz verstehen, siehst du … Die Sache ist die … Man muß sozusagen sein Gewissen in Ordnung halten … Ich weiß nicht, ob du das kennst … Grabow hat mir eine Salbe für die Halsmuskeln {350} verordnet … gut! Gebrauche ich sie nicht, unterlasse ich es, sie zu gebrauchen, so komme ich mir ganz verloren und hülflos vor, bin unruhig und unsicher und ängstlich und in Unordnung und kann nicht schlucken. Habe ich sie aber gebraucht, so fühle ich, daß ich meine Pflicht gethan habe und in Ordnung bin; dann habe ich ein gutes Gewissen, bin still und zufrieden, und das Schlucken geht herrlich. Die Salbe thut es, glaube ich, nicht, weißt du … aber die Sache ist, daß so eine Vorstellung, versteh' mich recht, nur durch eine andere Vorstellung, eine Gegenvorstellung aufgehoben werden kann … Ich weiß nicht, ob du das kennst …«
»Ach ja –! Ach ja –!« rief der Konsul und hielt einen Augenblick seinen Kopf mit beiden Händen fest … »Thue es doch! Handele doch danach! Aber rede nicht darüber! Schwatze nicht darüber! Laß andere Leute mit deinen widerlichen Finessen in Ruhe! Auch mit dieser unanständigen Geschwätzigkeit machst du dich lächerlich vom Morgen bis zum Abend! Aber das sage ich dir, das wiederhole ich dir: Es soll mich kalt lassen, wie sehr du dich persönlich zum Narren machst; aber ich verbiete dir, hörst du mich wohl? ich
verbiete
es dir, die Firma in einer Weise zu kompromittieren, wie du es gestern Abend gethan hast!«
Hierauf antwortete Christian nicht, sondern fuhr langsam mit der Hand über sein schon spärliches rötlich blondes Haar und ließ, einen unruhigen Ernst auf dem Gesichte, seine Augen haltlos und abwesend umherschweifen. Ohne Zweifel beschäftigte er sich noch mit dem, was er zuletzt gesagt hatte. Es herrschte eine Pause. Thomas schritt in stiller Verzweiflung daher.
»Alle Kaufleute sind Schwindler, sagst du«, begann er von Neuem … »Gut! bist du deines Berufes überdrüssig? Bereust du es, Kaufmann geworden zu sein? Du hast damals die Erlaubnis von Vater erwirkt …«
»Ja, Tom«, sagte Christian nachdenklich; »ich würde wahr {351} haftig lieber studieren! Auf der Universität, weißt du, das muß sehr nett sein … Man geht hin, wenn man Lust hat, ganz freiwillig, setzt sich und hört zu, wie im Theater …«
»Wie im Theater … Ach, ins Café chantant gehörst du als Possenreißer … Ich scherze nicht! Es ist meine vollkommen ernsthafte Überzeugung, daß Das dein heimliches Ideal ist!« beteuerte der Konsul, und Christian widersprach dem durchaus nicht; er blickte gedankenvoll in der Luft umher.
»Und du erfrechst dich, eine solche Bemerkung von dir zu geben, du, der du keine Ahnung … nicht einmal eine Ahnung davon hast, was Arbeit ist, der du dein Leben ausfüllst, indem du dir mit Theater und Bummelei und Narreteien eine Reihe von Gefühlen und Empfindungen und Zuständen verschaffst, mit denen du dich beschäftigen, die du beobachten und pflegen, über die du in schamloser Weise schwatzen kannst …«
»Ja, Tom«, sagte Christian ein wenig betrübt und strich wieder mit der Hand über seinen Schädel. »Das ist wahr; das hast du ganz richtig ausgedrückt. Das ist der Unterschied zwischen uns, siehst du. Du siehst auch gern ein Theaterstück an und hast früher, unter uns gesagt, auch deine Tächtelmächtel gehabt und lasest eine Zeit lang mal mit Vorliebe Romane und Gedichte und dergleichen … Aber du hast es immer so gut verstanden, das Alles mit der ordentlichen Arbeit und dem Ernst des Lebens zu verbinden … Das geht mir ab, siehst du. Ich werde von dem Anderen, von dem Kram, ganz und gar aufgebraucht, weißt du, und behalte für das Ordentliche gar nichts übrig … Ich weiß nicht, ob du mich verstehst …«
»Also, das siehst du ein!« rief Thomas, indem er stehen blieb und die Arme auf der Brust kreuzte. »Das giebst du ganz kleinlaut zu, und dennoch läßt du Alles beim Alten! Bist du denn ein Hund, Christian?! Man hat doch seinen Stolz, Herr Gott im Himmel! Man führt doch nicht ein Leben fort, das man selbst nicht einmal zu verteidigen wagt! Aber so bist du!
Das
ist dein {352} Wesen!
Weitere Kostenlose Bücher