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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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dichten, süßen und schweren Dunst von feinen Speisen, Parfüms, Weinen, Kaffee, Cigarren und den Blumen der Toiletten und Tafelaufsätze, ihre Hände gedrückt und gesagt:
    »Sehr brav, Gerda! Wir haben uns nicht zu schämen brauchen. Dergleichen ist sehr wichtig … Ich habe gar keine Lust, mich viel mit Bällen abzugeben und die jungen Leute hier umherspringen zu lassen; dazu reicht auch der Raum nicht. Aber den gesetzten Leuten muß es schmecken bei uns. So ein Diner kostet ein wenig mehr … aber das ist nicht übel angelegt.«
    »Du hast recht«, hatte sie geantwortet und die Spitzen geordnet, durch die ihre Brust wie Marmor hindurchschimmerte. »Auch ich ziehe durchaus die Diners den Bällen vor. Ein Diner wirkt so außerordentlich beruhigend … Ich hatte heute Nachmittag musiziert und fühlte mich ein wenig merkwürdig … Jetzt ist mein Gehirn so tot, daß hier der Blitz einschlagen könnte, ohne daß ich bleich oder rot würde.«
    *
    {336} Als um halb 12 Uhr heute der Konsul sich neben seiner Mutter am Frühstückstische niederließ, las sie ihm folgenden Brief vor:
     
    München, d. 2. April 1857.
    Am Marienplatz Nr. 5.
    Meine liebe Mama,
    ich bitte um Verzeihung, denn es ist eine Schande, daß ich noch nicht geschrieben habe, während ich doch schon 8 Tage hier bin; ich bin zu sehr in Anspruch genommen worden von Allem, was es hier zu sehen giebt – aber davon später. Nun frage ich erst einmal, ob es Euch Lieben, Dir und Tom und Gerda und Erika und Christian und Thilda und Ida und Allen gut geht; das ist das Wichtigste.
    Ach, was habe ich in diesen Tagen nicht zu sehen bekommen! Da ist die Pinakothek und die Glyptothek und das Hofbräuhaus und das Hoftheater und die Kirchen und viele andere Dinge. Ich muß davon mündlich erzählen, sonst schreibe ich mich tot. Auch eine Wagenfahrt im Isarthal haben wir schon gemacht, und für morgen ist ein Ausflug an den Würmsee in Aussicht genommen. Das geht immer so weiter; Eva ist sehr lieb zu mir, und Herr Niederpaur, der Brauereidirektor, ist ein gemütlicher Mann. Wir wohnen an einem sehr hübschen Platz inmitten der Stadt, mit einem Brunnen in der Mitte, wie bei uns auf dem Markt, und unser Haus steht ganz in der Nähe des Rathauses. Ich habe niemals ein solches Haus gesehen! Es ist von oben bis unten ganz kunterbunt bemalt, mit heiligen Georgs, die den Drachen töten, und alten bayerischen Fürsten in vollem Ornat und Wappen. Stellt Euch vor!
    Ja, München gefällt mir ganz ausnehmend. Die Luft soll sehr nervenstärkend sein, und mit meinem Magen ist es im Augenblick ganz in Ordnung. Ich trinke mit großem Vergnügen sehr viel Bier, um so mehr, als das Wasser nicht ganz gesund ist; aber an das Essen kann ich mich noch nicht recht gewöhnen. Es {337} giebt zu wenig Gemüse und zuviel Mehl, zum Beispiel in den Saucen, deren sich Gott erbarmen möge. Was ein ordentlicher Kalbsrücken ist, das ahnt man hier gar nicht, denn die Schlachter zerschneiden Alles aufs Jämmerlichste. Und mir fehlen sehr die Fische. Und dann ist es doch ein Wahnsinn, beständig Gurken- und Kartoffelsalat mit Bier durcheinander zu schlukken! Mein Magen giebt Töne von sich dabei.
    Überhaupt muß man ja an mancherlei sich erst gewöhnen, könnt Ihr Euch denken, man befindet sich eben in einem fremden Lande. Da ist die ungewohnte Münze, da ist die Schwierigkeit, sich mit den einfachen Leuten, dem Dienstpersonal zu verständigen, denn ich spreche ihnen zu rasch und sie mir zu kauderwelsch – und dann ist da der Katholicismus; ich hasse ihn, wie Ihr wißt, ich halte gar nichts davon …«
    Hier fing der Konsul an, zu lachen, indem er, ein Stück Butterbrot mit geriebenem Kräuterkäse in der Hand, sich in das Sofa zurücklehnte.
    »Ja, Tom, du lachst …« sagte seine Mutter, und ließ ein paar Mal den Mittelfinger ihrer Hand auf das Tischtuch fallen. »Aber mir gefällt es völlig an ihr, daß sie an dem Glauben ihrer Väter festhält und die unevangelischen Schnurrpfeifereien verabscheut. Ich weiß, daß du in Frankreich und Italien eine gewisse Sympathie für die päpstliche Kirche gefaßt hast, aber das ist nicht Religiosität bei dir, Tom, sondern etwas anderes, und ich verstehe auch, was; aber obgleich wir duldsam sein sollen, ist Spielerei und Liebhaberei in diesen Dingen in hohem Grade strafbar, und ich muß Gott bitten, daß er dir und deiner Gerda – denn ich weiß, sie gehört ebenfalls nicht gerade zu den Gefesteten, mit den Jahren den nötigen Ernst darin giebt.

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