Buddenbrooks
Diese Bemerkung wirst du deiner Mutter verzeihen.«
»Oben auf dem Brunnen«, las sie weiter, »den ich von meinem Fenster aus sehen kann, steht eine Maria, und manchmal wird er bekränzt, und dann knieen dort Leute aus dem Volke {338} mit Rosenkränzen und beten, was ja recht hübsch aussieht, aber es steht geschrieben: Gehe in dein Kämmerlein. Oft sieht man hier Mönche auf der Straße, und sie sehen recht ehrwürdig aus. Aber stelle Dir vor, Mama, gestern fuhr in der Theatinerstraße irgend ein höherer Kirchenmann in seiner Kutsche an mir vorüber, vielleicht war es der Erzbischof, ein älterer Herr – genug, und dieser Herr wirft mir aus dem Fenster ein paar Augen zu, wie ein Gardelieutenant! Du weißt, Mutter, ich halte nicht so sehr große Stücke auf Deine Freunde, die Missionäre und Pastoren, aber Thränen-Trieschke ist sicherlich nichts gegen diesen Suitier von einem Kirchenfürsten …«
»Pfui!« schaltete die Konsulin bekümmert ein.
»Echt Tony!« sagte der Konsul.
»Wieso, Tom?«
»Na, sollte sie ihn nicht ein bißchen provoziert haben … zur Prüfung? Ich kenne doch Tony! Und jedenfalls hat dieses ›Paar Augen‹ sie köstlich amüsiert … was wohl die Absicht des alten Herrn gewesen ist.«
Hierauf ging die Konsulin nicht ein, sondern fuhr zu lesen fort:
»Vorgestern hatten Niederpaurs Abendgesellschaft, was wunderhübsch war, obgleich ich der Unterhaltung nicht immer folgen konnte und den Ton manchmal ziemlich équivoque fand. Sogar ein Hofopernsänger war da, welcher Lieder sang, und ein junger Kunstmaler, der mich bat, mich von ihm portraitieren zu lassen, was ich aber ablehnte, weil ich es nicht für passend halte. Am besten habe ich mich mit einem Herrn
Permaneder
unterhalten, – hättest Du jemals gedacht, daß Jemand so heißen könnte? – Hopfenhändler, ein netter, spaßhafter Mann in gesetzten Jahren und Junggeselle. Ich hatte ihn zu Tische und hielt mich an ihn, weil er der einzige Protestant in der Gesellschaft war, denn obgleich er ein guter Münchener Bürger ist, stammt seine Familie aus Nürnberg. Er versicherte, {339} daß er unsere Firma dem Namen nach sehr wohl kenne, und Du kannst Dir denken, Tom, welche Freude mir der respektvolle Ton machte, in welchem er Das sagte. Auch erkundigte er sich genau nach uns, wie viele Geschwister wir seien und dergleichen mehr. Auch nach Erika und sogar nach Grünlich fragte er. Er kommt manchmal zu Niederpaurs und wird wohl morgen mit uns zum Würmsee fahren.
Nun adieu, liebe Mama, ich kann nicht mehr schreiben. Bei Leben und Gesundheit, wie Du immer sagst, bleibe ich noch drei oder vier Wochen hier, und dann kann ich Euch mündlich von München erzählen, denn brieflich weiß ich nicht, womit ich anfangen soll. Aber es gefällt mir sehr gut, das kann ich sagen, nur müßte man sich eine Köchin auf anständige Saucen dressieren. Siehst Du, ich bin eine alte Frau, die das Leben hinter sich hat, und habe nichts mehr zu erwarten auf Erden, aber wenn zum Beispiel Erika später bei Leben und Gesundheit sich hierher verheiratete, so würde ich nichts dagegen haben, das muß ich sagen …«
Hier mußte der Konsul wieder aufhören, zu essen, und sich lachend in das Sofa zurücklegen.
»Sie ist unbezahlbar, Mutter! Wenn sie heucheln will, ist sie unvergleichlich! Ich schwärme für sie, weil sie einfach nicht imstande ist, sich zu verstellen, nicht über tausend Meilen weg …«
»Ja, Tom«, sagte die Konsulin; »sie ist ein gutes Kind, das alles Glück verdient.«
Dann las sie den Brief zu Ende …
2.
Am Ende des April zog Frau Grünlich wieder im Elternhause ein, und obgleich nun abermals ein Stück Leben hinter ihr lag, obgleich das alte Dasein wieder begann, sie wieder den Andach {340} ten beiwohnen und am Jerusalemsabend Lea Gerhardt vorlesen hören mußte, befand sie sich ganz augenscheinlich in froher und hoffnungsvoller Stimmung.
Gleich, als ihr Bruder, der Konsul, sie vom Bahnhofe abgeholt hatte – sie war von Büchen gekommen – und mit ihr durch das Holstenthor in die Stadt gefahren war, hatte er nicht umhin gekonnt, ihr das Kompliment zu machen, daß – nächst Klothilden – sie doch noch immer die Schönste in der Familie sei, worauf sie geantwortet hatte:
»O Gott, Tom, ich hasse dich! Eine alte Frau in dieser Weise zu verhöhnen …«
Aber es hatte trotzdem seine Richtigkeit: Madame Grünlich konservierte sich aufs Vorteilhafteste, und angesichts ihres starken aschblonden Haares, das zu beiden
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