Buddenbrooks
wollen wir ein bißchen im Garten herumgehen dabei; das ist angenehmer. Komm.«
{470} Ein Geigenadagio tönte tremolierend aus der ersten Etage herab, während sie über die Diele gingen.
»Horch!« sagte Frau Permaneder und blieb einen Augenblick stehen … »Gerda spielt. Wie himmlisch! O Gott, dieses Weib … sie ist eine Fee! Wie geht es Hanno, Tom?«
»Er wird grade mit der Jungmann zu Abend essen. Schlimm, daß es mit seinem Gehen noch immer nicht so recht vorwärts will …«
»Das wird schon kommen, Tom, wird schon kommen! Wie seid ihr mit Ida zufrieden?«
»Oh, wie sollten wir nicht zufrieden sein …«
Sie passierten den rückwärts gelegenen steinernen Flur, indem sie die Küche zur Rechten ließen, und traten durch eine Glasthür über zwei Stufen in den zierlichen und duftenden Blumengarten hinaus.
»Nun?« fragte der Senator.
Es war warm und still. Die Düfte der reinlich abgezirkelten Beete lagen in der Abendluft, und der von hohen, lilafarbenen Iris umstandene Springbrunnen sandte seinen Strahl mit friedlichem Plätschern dem dunklen Himmel entgegen, an dem die ersten Sterne zu erglimmen begannen. Im Hintergrunde führte eine kleine, von zwei niedrigen Obelisken flankierte Freitreppe zu einem erhöhten Kiesplatze empor, auf welchem ein offener, hölzerner Pavillon stand, der mit seiner herabgelassenen Markise einige Gartenstühle beschirmte. Zur Linken ward das Grundstück durch eine Mauer vom Nachbargarten abgegrenzt; rechts aber war die Seitenwand des Nebenhauses in ihrer ganzen Höhe mit einem hölzernen Gerüst verkleidet, das bestimmt war, mit der Zeit von Schlinggewächsen bedeckt zu werden. Es gab zu den Seiten der Freitreppe und des Pavillonplatzes ein paar Johannis- und Stachelbeersträucher; aber nur
ein
großer Baum war da, ein knorriger Walnußbaum, der links an der Mauer stand.
{471} »Die Sache ist die«, antwortete Frau Permaneder zögernd, während die Geschwister auf dem Kieswege langsam den vorderen Platz zu umschreiten begannen … »Tiburtius schreibt …«
»Clara?!« fragte Thomas … »Bitte, kurz und ohne Umstände!«
»Ja, Tom, sie liegt, es steht schlimm mit ihr, und der Doktor fürchtet, daß es Tuberkeln sind … Gehirn-Tuberkulose … so schwer es mir fällt, es auszusprechen. Sieh her: dies ist der Brief, den ihr Mann mir schreibt. Diese Einlage, die an Mutter adressiert ist, und in der, sagt er, dasselbe steht, sollen wir ihr geben, nachdem wir sie ein bißchen vorbereitet haben. Und dann ist hier noch diese zweite Einlage: auch an Mutter und von Clara selbst sehr unsicher mit Bleistift geschrieben. Und Tiburtius erzählt, daß sie selbst dabei gesagt hat, es seien ihre letzten Zeilen, denn es sei das Traurige, daß sie sich gar keine Mühe gäbe, zu leben. Sie hat sich ja immer nach dem Himmel gesehnt …« schloß Frau Permaneder und trocknete ihre Augen.
Der Senator ging schweigend, die Hände auf dem Rücken und mit tief gesenktem Kopfe neben ihr.
»Du bist so still, Tom … Und du hast recht; was soll man sagen? Und dies grade jetzt, wo auch Christian krank in Hamburg liegt …«
Denn so verhielt es sich. Christians »Qual« in der linken Seite war in letzter Zeit zu London so stark geworden, hatte sich in so reelle Schmerzen verwandelt, daß er alle seine kleineren Beschwerden darüber vergessen hatte. Er hatte sich nicht mehr zu helfen gewußt, hatte seiner Mutter geschrieben, er müsse nach Hause kommen, um sich von ihr pflegen zu lassen, hatte seinen Platz in London fahren lassen und war abgereist. Kaum aber in Hamburg angelangt, hatte er zu Bette gehen müssen, der Arzt hatte Gelenkrheumatismus festgestellt und Christian aus dem Hotel ins Krankenhaus schaffen lassen, da eine Weiterreise fürs {472} erste unmöglich sei. Da lag er nun und diktierte seinem Wärter höchst trübselige Briefe …
»Ja«, antwortete der Senator leise; »es scheint, daß eins zum andern kommen soll.«
Sie legte einen Augenblick den Arm um seine Schultern.
»Aber du mußt nicht verzagt sein, Tom! Dazu hast du noch lange kein Recht! Du hast guten Mut nötig …«
»Ja, bei Gott, den hätte ich nötig!«
»Wieso, Tom? … Sage mal: Warum warst du eigentlich vorgestern, Donnerstag, den ganzen Nachmittag so schweigsam, wenn ich das wissen darf?«
»Ach … Geschäfte, mein Kind. Ich habe eine nicht ganz kleine Partie Roggen nicht sehr vorteilhaft … na, kurz und gut: eine große Partie sehr unvorteilhaft verkaufen müssen …«
»Oh, das kommt vor,
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