Buddenbrooks
Tom! Das passiert heute, und morgen bringst du's wieder ein. Sich dadurch gleich die Stimmung verderben zu lassen …«
»Falsch, Tony«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Meine Stimmung ist nicht unter Null, weil ich Mißerfolg habe.
Umgekehrt.
Das ist mein Glaube, und darum trifft es auch zu.«
»Aber, was ist es denn mit deiner Stimmung?!« fragte sie erschreckt und erstaunt. »Man sollte annehmen … du solltest fröhlich sein, Tom! Clara ist am Leben … alles wird gut gehen mit Gottes Hilfe! Und im Übrigen? Hier gehen wir in deinem Garten umher, und alles duftet nur so. Dort liegt dein Haus, ein Traum von einem Haus; Hermann Hagenström bewohnt eine Kate im Vergleiche damit! Das alles hast du zuwege gebracht …«
»Ja, es ist fast zu schön, Tony. Ich will sagen: es ist noch zu neu. Es verstört mich noch ein wenig, und daher mag die üble Stimmung kommen, die mir zusetzt und mir in allen Dingen schadet. Ich habe mich sehr auf dies alles gefreut, aber diese Vorfreude war, wie ja immer, das Beste, denn das Gute kommt {473} immer zu spät, immer wird es zu spät fertig, wenn man sich nicht mehr recht darüber freuen kann …«
»Nicht mehr freuen, Tom! Jung wie du bist!«
»Man ist so jung oder alt wie man sich fühlt. – Und
wenn
es kommt, das Gute und Erwünschte, schwerfällig und verspätet, so kommt es, behaftet mit allem kleinlichen, störenden, ärgerlichen Beiwerk, allem Staube der Wirklichkeit, mit dem man in der Phantasie nicht gerechnet hat, und der einen reizt … reizt …«
»Ja, ja … Aber so jung oder alt wie man sich
fühlt
, Tom –?«
»Ja, Tony. Es mag vorübergehen … eine Verstimmung – gewiß. Aber ich fühle mich in dieser Zeit älter, als ich bin. Ich habe geschäftliche Sorgen, und im Aufsichtsrat der Büchener Eisenbahn hat mich Konsul Hagenström gestern ganz einfach zu Boden geredet, widerlegt, beinahe dem allgemeinen Lächeln ausgesetzt … Mir ist, als ob mir dergleichen früher nicht hätte geschehen können. Mir ist, als ob mir etwas zu entschlüpfen begönne, als ob ich dieses Unbestimmte nicht mehr so fest in Händen hielte, wie ehemals … Was ist der Erfolg? Eine geheime, unbeschreibliche Kraft, Umsichtigkeit, Bereitschaft … das Bewußtsein, einen Druck auf die Bewegungen des Lebens um mich her durch mein bloßes Vorhandensein auszuüben … Der Glaube an die Gefügigkeit des Lebens zu meinen Gunsten … Glück und Erfolg sind in uns. Wir müssen sie halten: fest, tief. Sowie hier drinnen etwas nachzulassen beginnt, sich abzuspannen, müde zu werden, alsbald wird alles frei um uns her, widerstrebt, rebelliert, entzieht sich unserem Einfluß … Dann kommt eines zum andern, Schlappe folgt auf Schlappe, und man ist fertig. Ich habe in den letzten Tagen oft an ein türkisches Sprichwort gedacht, das ich irgendwo las: ›Wenn das Haus fertig ist, so kommt der Tod‹. Nun, es braucht noch nicht grade der Tod zu sein. Aber der Rückgang … der Abstieg … der Anfang vom Ende … Siehst du, Tony«, fuhr er fort, indem er den Arm unter den seiner Schwester schob, und seine Stimme {474} wurde noch leiser: »Als wir Hanno tauften, erinnerst du dich? Da sagtest du zu mir: ›Mir ist, als ob jetzt noch eine ganz neue Zeit beginnen müsse!‹ Ich höre es noch ganz deutlich, und es schien dann, als solltest du recht bekommen, denn es kam die Senatswahl, und ich hatte Glück, und hier wuchs das Haus aus dem Erdboden. Aber ›Senator‹ und Haus sind Äußerlichkeiten, und ich weiß etwas, woran du noch nicht gedacht hast, ich weiß es aus Leben und Geschichte. Ich weiß, daß oft die äußeren, sichtbarlichen und greifbaren Zeichen und Symbole des Glükkes und Aufstieges erst erscheinen, wenn in Wahrheit alles schon wieder abwärts geht. Diese äußeren Zeichen brauchen Zeit, anzukommen, wie das Licht eines solchen Sternes dort oben, von dem wir nicht wissen, ob er nicht schon im Erlöschen begriffen, nicht schon erloschen ist, wenn er am hellsten strahlt …«
Er verstummte, und sie gingen eine Weile schweigend, während der Springbrunnen in der Stille plätscherte, und es in der Krone des Walnußbaumes flüsterte. Dann atmete Frau Permaneder so mühsam auf, daß es wie Schluchzen klang.
»Wie traurig du sprichst, Tom! So traurig wie noch nie! Aber es ist gut, daß du dich ausgesprochen hast, und nun wird es dir leichter werden, dir alles das aus dem Sinn zu schlagen.«
»Ja, Tony, das muß ich, so gut es geht, versuchen. Und nun gieb mir die
Weitere Kostenlose Bücher