Buddenbrooks
Oeynhausen zurückgekehrt ist, in den Klub eingeführt, während im Mengstraßen-Hause Mamsell Severin, Riekchen Severin, der Konsulin neue Jungfer, zusammen mit den Mädchen eine Menge Matratzen in das »Portal«, das alte Gartenhaus, schleppt, das voll von Soldaten ist.
Gewimmel, Verstörung und Spannung überall! Die Mannschaften ziehen zum Thore hinaus, neue rücken ein, überfluten die Stadt, essen, schlafen, erfüllen die Ohren der Bürger mit Trommelwirbeln, Trompetensignalen und Kommandorufen und marschieren wieder ab. Königliche Prinzen werden begrüßt; Durchmarsch folgt auf Durchmarsch. Dann Stille und Erwartung.
Im Spätherbst und Winter kehren die Truppen siegreich zurück, werden wiederum einquartiert und ziehen unter den {480} Hochrufen der aufatmenden Bürger nach Hause. – Friede. Der kurze, ereignisschwangere Friede von fünfundsechzig.
Und zwischen zwei Kriegen, unberührt und ruhevoll in den Falten seines Schürzenkleidchens und dem Gelock seines weichen Haares, spielt der kleine Johann im Garten am Springbrunnen oder auf dem »Altan«, der eigens für ihn durch eine kleine Säulenestrade vom Vorplatz der zweiten Etage abgetrennt ist, die Spiele seiner 4 ½ Jahre … Diese Spiele, deren Tiefsinn und Reiz kein Erwachsener mehr zu verstehen vermag, und zu denen nichts weiter nötig ist, als drei Kieselsteine oder ein Stück Holz, das vielleicht eine Löwenzahnblüte als Helm trägt: vor allem aber die reine, starke, inbrünstige, keusche, noch unverstörte und uneingeschüchterte Phantasie jenes glückseligen Alters, wo das Leben sich noch scheut, uns anzutasten, wo noch weder Pflicht noch Schuld Hand an uns zu legen wagt, wo wir sehen, hören, lachen, staunen und träumen dürfen, ohne daß noch die Welt Dienste von uns verlangt … wo die Ungeduld derer, die wir doch lieben möchten, uns noch nicht nach Anzeichen und ersten Beweisen quält, daß wir diese Dienste mit Tüchtigkeit werden leisten können … Ach, nicht lange mehr, und mit plumper Übermacht wird alles über uns herfallen, um uns zu vergewaltigen, zu exerzieren, zu strecken, zu kürzen, zu verderben …
Große Dinge geschahen, während Hanno spielte. Der Krieg entbrannte, der Sieg schwankte und entschied sich, und Hanno Buddenbrooks Vaterstadt, die klug zu Preußen gestanden hatte, blickte nicht ohne Genugthuung auf das reiche Frankfurt, das seinen Glauben an Oesterreich bezahlen mußte, indem es aufhörte, eine freie Stadt zu sein.
Bei dem Fallissement einer Frankfurter Großfirma aber, im Juli, unmittelbar vor Eintritt des Waffenstillstandes, verlor das Haus Johann Buddenbrook mit einem Schlage die runde Summe von zwanzigtausend Thalern Courant.
{481} Achter Teil.
(Meinem Bruder Heinrich, dem Menschen
und dem Schriftsteller, zu Ehren.)
1.
Wenn Herr Hugo Weinschenk, seit einiger Zeit Direktor im Dienste der städtischen Feuerversicherungsgesellschaft, mit seinem geschlossenen Leibrock, seinem schmalen, schwarzen, auf männliche und ernste Art in die Mundwinkel hineingewachsenen Schnurrbart und seiner etwas hängenden Unterlippe, wiegenden und selbstbewußten Schrittes über die große Diele schritt, um sich von den vorderen Bureaux in die hinteren zu begeben, wobei er seine beiden Fäuste vor sich hertrug, und die Ellenbogen in legerer Weise an den Seiten bewegte, bot er das Bild eines thätigen, wohlsituierten und imponierenden Mannes.
Andererseits war Erika Grünlich, nun zwanzigjährig: ein großes, erblühtes Mädchen, frischfarbig und hübsch vor Gesundheit und Kraft. Führte der Zufall sie die Treppe hinab oder an das obere Geländer, wenn eben Herr Weinschenk des Weges kam – und der Zufall that dies nicht selten – so nahm der Direktor den Cylinder von seinem kurzen, schwarzen Haupthaar, das an den Schläfen schon zu ergrauen begann, wiegte sich stärker in der Taille seines Gehrockes und begrüßte das junge Mädchen mit einem erstaunten und bewundernden Blick seiner kühn umherschweifenden, braunen Augen … worauf Erika davonlief, sich irgendwo auf eine Fensterbank setzte und vor Ratlosigkeit und Verwirrung eine Stunde lang weinte.
Fräulein Grünlich war unter Therese Weichbrodts Obhut in Züchten herangewachsen, und ihre Gedanken gingen nicht weit. Sie weinte über Herrn Weinschenks Cylinder, die Art, mit {482} der er bei ihrem Anblick seine Brauen emporzucken und wieder fallen ließ, seine höchst königliche Haltung und seine balancierenden Fäuste. Ihre Mutter inzwischen, Frau Permaneder, sah
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