Buddenbrooks
Karriere nicht ausschloß.
Mit einem Worte: es war auf beiden Seiten viel guter Wille vorhanden, die Nachmittagsbesuche Direktor Weinschenks wiederholten sich in rascher Folge, und im Januar – dem Januar des Jahres 1867 – gestattete er sich, mit einigen kurzen, männlichen und geraden Worten, um Erika Grünlichs Hand zu bitten.
Von nun an gehörte er zur Familie, begann, an den »Kindertagen« teilzunehmen und ward von den Angehörigen seiner Braut mit Zuvorkommenheit aufgenommen. Ohne Zweifel empfand er sofort, daß er unter ihnen nicht recht am Platze war; aber er verkleidete dies Gefühl mit einer desto kühneren Haltung, und die Konsulin, Onkel Justus, Senator Buddenbrook – wenn auch nicht gerade die Damen Buddenbrook aus der Breitenstraße – waren gegenüber diesem tüchtigen Bureaumenschen, diesem gesellschaftlich unerfahrenen Manne der harten Arbeit zu taktvoller Nachsicht bereit.
Sie war vonnöten; denn immer wieder galt es, mit einem belebenden und ablenkenden Worte eine Stille zu verscheuchen, die sich an der Familientafel im Eßsaale ausbreitete, wenn {485} etwa der Direktor sich in allzu neckischer Art mit Erikas Wangen und Armen beschäftigte, wenn er sich gesprächsweise erkundigte, ob orange-marmelade eine Mehlspeise sei, – »Mehlschpeis'« sagte er mit kecker Betonung – oder wenn er der Meinung Ausdruck gab, »Romeo und Julia« sei ein Stück von Schiller … Dinge, die er unter sorglosem Händereiben, den Oberkörper schräg gegen die Stuhllehne zurückgeworfen, mit vieler Frische und Festigkeit hervorbrachte.
Am besten verständigte er sich mit dem Senator, der über Politik und Geschäftliches hin eine Unterhaltung mit ihm sicher zu steuern wußte, ohne daß ein Unglück geschah. Vollkommen verzweifelt aber gestaltete sich sein Verhältnis zu Gerda Buddenbrook. Die Persönlichkeit dieser Dame befremdete ihn in solchem Grade, daß er außer stande war, einen auch nur für zwei Minuten ausreichenden Gesprächsstoff für sie zu finden. Da er wußte, daß sie die Violine spielte, und diese Thatsache starken Eindruck auf ihn gemacht hatte, so beschränkte er sich darauf, bei jedem Zusammentreffen am Donnerstag aufs neue die scherzhafte Frage an sie zu richten: »Wie geht's der Geige?« – Nach dem dritten Male aber bereits enthielt die Senatorin sich jeder Antwort hierauf.
Christian seinerseits pflegte seinen neuen Verwandten mit gekrauster Nase zu beobachten und am nächsten Tage sein Benehmen und seine Sprechweise eingehend nachzuahmen. Der zweite Sohn des seligen Konsul Johann Buddenbrook war in Oeynhausen von seinem Gelenkrheumatismus genesen; aber eine gewisse Steifheit der Glieder dauerte noch fort, und die periodische »Qual« in seiner linken Seite – dort, wo »alle Nerven zu kurz« waren – sowie die sonstigen Störungen, denen er sich ausgesetzt fühlte: Atmungs- und Schluckbeschwerden, Unregelmäßigkeiten des Herzens und Neigung zu Lähmungserscheinungen oder Furcht davor – waren keineswegs aus der Welt geschafft. Auch war sein Äußeres kaum dasjenige eines {486} Mannes, der erst am Ende der Dreißiger steht. Sein Schädel war vollständig entblößt; nur am Hinterkopf und an den Schläfen stand noch ein wenig seines dünnen, rötlichen Haares, und seine kleinen, runden Augen, die mit unruhigem Ernste umherschweiften, lagen tiefer als jemals in ihren Höhlen. Gewaltiger aber auch und knochiger, als jemals, sprang seine große, gehöckerte Nase zwischen den hageren und fahlen Wangen hervor, über dem dichten, rotblonden Schnurrbart, der den Mund überhing … Und die Hose aus durablem und elegantem englischen Stoff umschlotterte seine dürren, gekrümmten Beine.
Seit seiner Heimkehr bewohnte er wie ehemals ein Zimmer am Korridor der ersten Etage im Hause seiner Mutter, hielt sich jedoch mehr im »Klub« als in der Mengstraße auf, denn dort wurde ihm das Leben nicht sehr angenehm gemacht. Riekchen Severin nämlich, Ida Jungmanns Nachfolgerin, die nun die Dienstboten der Konsulin regierte und den Hausstand führte, ein untersetztes, 27jähriges Geschöpf vom Lande, mit roten, gesprungenen Wangen und aufgeworfenen Lippen, hatte mit bäuerlichem Sinn für Thatsachen erkannt, daß auf diesen beschäftigungslosen Geschichtenerzähler, der abwechselnd albern und elend war, und über den die Respektsperson, der Senator, mit erhobener Augenbraue hinwegsah, nicht viel Rücksicht zu nehmen sei, und sie vernachlässigte ganz einfach seine Bedürfnisse. »Je, Herr
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