Buddenbrooks
Seite stehen sollte … und dies grade war es, was in ihr die köstliche Empfindung hervorrief, als hätte niemals ein Bendix Grünlich, niemals ein Alois Permaneder {489} gelebt, als zergingen alle Mißerfolge, Enttäuschungen und Leiden ihres Lebens zu nichts, und als dürfe sie mit frischen Hoffnungen nun noch einmal von vorne beginnen. Zwar ermahnte sie Erika zur Dankbarkeit gegen Gott, der ihr den einzig geliebten Mann beschere, während sie selbst, die Mutter, ihre erste und herzliche Neigung mit Pflicht und Vernunft habe ertöten müssen; zwar war es Erikas Name, den sie zusammen mit dem des Direktors mit vor Freude unsicherer Hand in die Familienpapiere schrieb … aber sie, sie selbst, Tony Buddenbrook, war die eigentliche Braut. Sie war es, die noch einmal mit kundiger Hand Portieren und Teppiche prüfen, noch einmal Möbel- und Ausstattungsmagazine durchstöbern, noch einmal eine
vornehme
Wohnung besichtigen und mieten durfte! Sie war es, die noch einmal das fromme und weitläufige Elternhaus verlassen und aufhören sollte, bloß eine geschiedene Frau zu sein; der noch einmal die Möglichkeit sich aufthat, ihr Haupt zu erheben und ein neues Leben zu beginnen, geeignet, die allgemeine Aufmerksamkeit zu erwecken und das Ansehen der Familie zu fördern … Ja, war es ein Traum? Schlafröcke erschienen auf der Bildfläche! Zwei Schlafröcke für sie und Erika, aus weichem, gewirktem Stoff, mit breiten Schleppen und dichten Reihen von Sammetschleifen, vom Halsverschluß bis zum Saume hinunter!
Die Wochen aber verstrichen, und Erika Grünlichs Brautzeit neigte sich ihrem Ende entgegen. Das junge Paar hatte in einigen wenigen Häusern Besuche gemacht, denn der Direktor, ernster und in geselligen Dingen unerfahrener Arbeitsmensch, wie er war, gedachte seine Mußestunden der intimen Häuslichkeit zu widmen … ein Verlobungsdiner hatte Thomas, Gerda, das Brautpaar, Friederike, Henriette und Pfiffi Buddenbrook mit der nächsten Freundschaft des Senators in dem großen Saale des Fischergrubenhauses vereint, wobei es wiederum befremdete, daß der Direktor nicht aufhörte, Erikas dekolletierten Hals zu klopfen … und die Hochzeit nahte heran.
{490} Die Säulenhalle war, wie einst, als Frau Grünlich die Myrthen trug, der Schauplatz der Trauung. Frau Stuht aus der Glockengießerstraße, dieselbe, die in den ersten Kreisen verkehrte, war der Braut beim Falten-Arrangement ihres weißen Atlaskleides und beim Anlegen des grünen Schmuckes behilflich gewesen, Senator Buddenbrook war erster, und Christians Freund, Senator Doktor Gieseke, zweiter Brautführer, zwei ehemalige Pensionsfreundinnen Erikas fungierten als Brautjungfern, Direktor Hugo Weinschenk sah stattlich und männlich aus und trat, auf dem Wege zum improvisierten Altar, nur
ein
mal auf Erikas herabwallenden Schleier, Pastor Pringsheim, die Hände unterm Kinn gefaltet, celebrierte mit aller verklärten Feierlichkeit, die ihm eigen, und alles verlief nach Brauch und Würde. Als die Ringe gewechselt wurden, und das tiefe und das helle »Ja« – beide ein wenig heiser – in der Stille erklangen, brach Frau Permaneder, überwältigt von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in lautes Weinen aus – es war noch immer ihr unbedenkliches und unverhohlenes Kinderweinen – während die Damen Buddenbrook, von denen Pfiffi zur Feier des Tages eine goldene Kette an ihrem Pincenez trug, wie immer bei solchen Gelegenheiten ein wenig säuerlich dareinlächelten … Mlle. Weichbrodt jedoch, Therese Weichbrodt, die in den letzten Jahren noch sehr viel kleiner geworden war, als früher, Sesemi, die ovale Broche mit dem Porträt ihrer Mutter an ihrem dünnen Hälschen, sprach mit jener übergroßen Festigkeit, welche eine tiefe innere Rührung verbergen soll: »Sei glöcklich, du
gutes
Kend!«
Dann folgte, im Kreise der weißen Götterfiguren, welche in unveränderlich gelassenen Stellungen aus der blauen Tapete hervortraten, ein ebenso solennes, wie solides Festmahl, gegen dessen Ende die Neuvermählten verschwanden, um ihre Reise durch einige Großstädte anzutreten … Das war um die Mitte des April; und während der folgenden vierzehn Tage vollbrach {491} te Frau Permaneder, unterstützt vom Tapezierer Jacobs, eines ihrer Meisterstücke: die vornehme Herrichtung jener geräumigen ersten Etage, die in einem Hause der mittleren Bäckergrube gemietet worden war, und deren mit Blumen reichlich geputzte Räume dann das heimkehrende Paar umfingen.
Und es begann Tony
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