Buddenbrooks
Buddenbrook!« sagte sie. »Ich hab' nu keine Zeit für Ihnen!« Worauf Christian sie mit krauser Nase anblickte, als wollte er sagen: Schämst du dich gar nicht? … und mit steifen Gelenken seines Weges ging.
»Meinst du, ich habe immer eine Kerze?« sagte er zu Tony … »Selten! Meistens muß ich mit einem Streichholz zu Bette gehen …« Oder er erklärte auch – denn das Taschengeld, das seine Mutter ihm noch bewilligen konnte, war gering –: »Schlechte Zeiten! … Ja, das war früher alles anders! Was meinst du wohl? … ich muß mir jetzt oft fünf Schillinge für Zahnpulver leihen!«
{487} »Christian!« rief Frau Permaneder. »Wie unwürdig! Mit einem Streichholz! Fünf Schillinge! Sprich doch wenigstens nicht davon!« Sie war entrüstet, empört, in ihren heiligsten Gefühlen beleidigt; allein das änderte nichts …
Die fünf Schillinge für Zahnpulver entlieh Christian von seinem alten Freunde Andreas Gieseke, Doktor beider Rechte. Er hatte Glück mit dieser Freundschaft, und sie ehrte ihn; denn der Rechtsanwalt Gieseke, dieser Suitier, der die Würde zu wahren wußte, war im vergangenen Winter, als der alte Kaspar Oeverdieck sanft entschlummert war, und Doktor Langhals an seine Stelle gerückt war, zum Senator erwählt worden. Seinen Lebenswandel aber beeinflußte das nicht. Man wußte, daß ihm, der seit seiner Verheiratung mit einem Fräulein Hunäus inmitten der Stadt ein geräumiges Haus besaß, auch in der Vorstadt St. Gertrud jene kleine, grünbewachsene und behaglich ausgestattete Villa gehörte, die von einer noch jungen und außerordentlich hübschen Dame unbestimmter Herkunft ganz allein bewohnt ward. Über der Hausthür prangte in zierlich vergoldeten Buchstaben das Wort:
»Quisisana«,
und in der ganzen Stadt war das friedliche Häuschen bekannt unter diesem Namen, den man übrigens mit sehr weichen S- und sehr getrübten A-Lauten sprach. Christian Buddenbrook aber, als bester Freund des Senators Gieseke, hatte sich Zutritt verschafft in Quisisana, und er hatte dort auf die nämliche Art reüssiert wie zu Hamburg bei Aline Puvogel und bei ähnlichen Gelegenheiten in London, in Valparaiso und an so vielen anderen Punkten der Erde. Er hatte »ein bißchen erzählt«, er war »ein bißchen nett« gewesen, und er verkehrte nun in dem grünen Häuschen mit der gleichen Regelmäßigkeit wie Senator Gieseke selbst. Ob dies mit dem Wissen und Einverständnis des letzteren geschah, das steht dahin; sicher aber ist, daß Christian Buddenbrook in Quisisana ganz kostenlos dieselbe freundliche Zerstreuung fand, die Senator Gieseke mit dem schweren Gelde seiner Gattin bezahlen mußte.
{488} Kurze Zeit nach der Verlobung Hugo Weinschenks mit Erika Grünlich machte der Direktor seinem Schwager den Vorschlag, in das Versicherungsbureau einzutreten, und in der That arbeitete Christian vierzehn Tage lang im Dienste der Brandkasse. Leider jedoch zeigte sich dann, daß nicht allein die Qual in seiner linken Seite, sondern auch seine übrigen, schwer bestimmbaren Übel sich hierdurch verstärkten, daß übrigens der Direktor ein überaus heftiger Vorgesetzter war, der gelegentlich eines Mißgriffes keinen Anstand genommen hatte, seinen Schwager einen »Seehund« zu nennen … und Christian war genötigt, diesen Posten wieder zu verlassen.
Was aber Madame Permaneder anging, so war sie glücklich, so äußerte ihre lichte Gemütsstimmung sich in Aperçus wie dieses, daß das irdische Leben doch hin und wieder auch seine guten Seiten habe. Wahrhaftig, sie erblühte aufs neue in diesen Wochen, die, mit ihrer belebenden Geschäftigkeit, ihren vielfältigen Plänen, ihren Wohnungssorgen und ihrem Ausstattungsfieber, sie allzu deutlich an die Zeit ihres eignen ersten Verlöbnisses gemahnten, als daß sie sie nicht verjüngt und mit grenzenloser Hoffnungsfreudigkeit erfüllt hätten. Viel von dem graziösen Übermut ihrer Mädchentage kehrte in ihre Mienen und ihre Bewegungen zurück, ja, die Stimmung eines ganzen Jerusalemsabends entweihte sie durch eine so ausgelassene Fröhlichkeit, daß selbst Lea Gerhardt das Buch ihres Vorfahren sinken ließ und mit den großen, unwissenden und mißtrauischen Augen der Tauben im Saale umherblickte …
Erika sollte sich von ihrer Mutter nicht trennen. Mit dem Einverständnis des Direktors, ja, auf seinen Wunsch hin, war beschlossen worden, daß Frau Antonie – wenigstens vorderhand – bei den Weinschenks wohnen, daß sie der unerfahrenen Erika im Haushalte zur
Weitere Kostenlose Bücher