Buddenbrooks
vergessen können, sondern mit sich umhergetragen und mit Bitterkeit durchtränkt hatte. Und der Senator antwortete ihm in übertriebenen Worten der Verachtung und der Drohung, die er zehn Minuten später bereute. Gerda hatte das Haupt leicht in die Hand gestützt und beobachtete die Beiden mit verschleierten Augen und einem nicht bestimmbaren Gesichtsausdruck. Frau Permaneder wiederholte beständig in Verzweiflung:
{641} »Und Mutter liegt nebenan … Und Mutter liegt nebenan …«
Christian, der sich schon während der letzten Repliken im Zimmer hin und her bewegt hatte, räumte endlich den Kampfplatz.
»Es ist gut! Wir werden ja sehen!« rief er, und mit verwildertem Schnurrbart und roten Augen, den Rock offen, das Taschentuch in der herabhängenden Hand, hitzig und exaltiert, ging er zur Thür und ließ sie hinter sich ins Schloß fallen.
In der plötzlichen Stille stand der Senator noch einen Augenblick aufrecht und sah dorthin, wo sein Bruder verschwunden war. Dann setzte er sich schweigend, nahm mit kurzen Bewegungen die Papiere wieder zur Hand und erledigte mit trockenen Worten, was noch zu erledigen war, worauf er sich zurücklehnte, die Spitzen seines Bartes durch die Finger gleiten ließ und in Gedanken versank.
Frau Permaneders Herz pochte so voller Angst! Die Frage, die große Frage war nun nicht länger hinauszuschieben; sie mußte zur Sprache kommen, er mußte sie beantworten … aber ach, war er jetzt in der Stimmung, Pietät und Milde walten zu lassen?
»Und … Tom –«, fing sie an, indem sie zuerst in ihren Schoß blickte und dann einen zagen Versuch machte, in seiner Miene zu lesen … »Die Meubles … Du hast natürlich schon Alles in Erwägung gezogen … Die Sachen, die uns gehören, ich meine Erika, der Kleinen und mir … sie bleiben hier … mit uns … kurz … das Haus, wie ist es damit?« fragte sie und rang heimlich die Hände.
Der Senator antwortete nicht sogleich, sondern fuhr eine Weile fort, den Schnurrbart zu drehen und mit trüber Nachdenklichkeit in sich hineinzublicken. Dann atmete er auf und richtete sich empor.
»Das Haus?« sagte er … »Es gehört natürlich uns Allen, dir, Christian und mir … und komischer Weise auch dem Pastor {642} Tiburtius, denn der Anteil gehört zu Claras Erbe. Ich allein habe nichts darüber zu entscheiden, sondern bedarf eurer Zustimmung. Aber das Gegebene ist selbstverständlich, so bald als möglich zu verkaufen«, schloß er achselzuckend. Dennoch ging etwas dabei über sein Gesicht, als erschräke er über seine eigenen Worte.
Frau Permaneders Kopf sank tief herab; ihre Hände hörten auf, einander zu pressen, und erschlafften plötzlich in allen Gliedern.
»Unserer Zustimmung!« wiederholte sie nach einer Pause, traurig und sogar mit einiger Bitterkeit. »Lieber Gott, du weißt gut, Tom, daß du thun wirst, was du für richtig hältst, und daß wir Anderen dir unsere Zustimmung nicht lange versagen können! … Aber wenn wir ein Wort einlegen … dich bitten dürfen«, fuhr sie beinahe tonlos fort, und ihre Oberlippe begann, zu beben … »Das Haus! Mutters Haus! Unser Elternhaus! In dem wir so glücklich gewesen sind! Wir sollen es verkaufen …!«
Der Senator zuckte wieder die Achseln.
»Du wirst mir glauben, Kind, daß Alles, was du mir vorhalten kannst, mich ohnehin so sehr bewegt wie dich … Aber Gegengründe sind das nicht, sondern Sentiments. Was zu thun ist, steht fest. Da haben wir dies große Grundstück … was sollen wir jetzt damit beginnen? Seit langen Jahren, schon seit Vaters Tode, verfällt das ganze Rückgebäude. Im Billardsaal lebt eine freie Katzenfamilie, und tritt man näher, so läuft man Gefahr, durch den Fußboden zu brechen … Ja, hätte ich nicht mein Haus in der Fischergrube! Aber ich habe es, und wohin damit? Soll ich vielleicht lieber
das
verkaufen? Urteile doch selbst … an wen? Ich würde ungefähr die Hälfte des Geldes verlieren, das ich hineingesteckt. Ach Tony, wir haben Grundstücke genug, wir haben viel zu viel davon! Die Speicher und zwei große Häuser! Der Wert der Grundstücke steht ja kaum noch in einem Verhältnis zu dem beweglichen Kapital! Nein, verkaufen, verkaufen! …«
{643} Aber Frau Permaneder hörte nicht. Niedergebeugt und in sich gekehrt saß sie da und blickte mit feuchten Augen ins Leere.
»Unser Haus!« murmelte sie … »Ich weiß noch, wie wir es einweihten … Wir waren nicht größer als
so
damals. Die ganze Familie war da. Und Onkel
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