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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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krächzend … »Solange ich denken kann, hast du eine solche Kälte auf mich ausströmen lassen, daß mich in deiner Gegenwart beständig gefroren hat … ja, das mag ein sonderbarer Ausdruck sein, aber wenn ich es doch so empfinde? … Du weisest mich ab … Du weisest mich ab, wenn du mich nur ansiehst, und auch das thust du beinahe nie. Und was giebt dir das Recht dazu? Du bist doch auch ein Mensch und hast deine Schwächen! Du bist unseren Eltern immer der bessere Sohn gewesen, aber wenn du ihnen wirklich so viel näher stehst, als ich, so solltest du dir doch auch ein wenig von ihrer christlichen Denkungsart aneignen, und wenn dir schon alle geschwisterliche Liebe fremd ist, so sollte man doch eine Spur von christlicher Liebe von dir erwarten dürfen. Aber du bist so lieblos, daß du mich nicht einmal besucht … nicht ein einziges Mal im Krankenhause besucht hast, als ich in Hamburg mit Gelenkrheumatismus daniederlag …«
    »Ich habe Ernsteres zu bedenken, als deine Krankheiten. Übrigens ist meine eigene Gesundheit …«
    »Nein, Thomas, deine Gesundheit ist prächtig! Du säßest hier nicht als der, der du bist, wenn sie nicht im Verhältnis zu meiner ganz ausgezeichnet wäre …«
    »Ich bin vielleicht kränker, als du.«
    »Du wärest … Nein, das ist stark! Tony! Gerda! Er sagt, er sei kränker, als ich! Was! Hast
du
vielleicht in Hamburg mit Gelenkrheumatismus auf dem Tode gelegen?! Hast
du
nach jeder kleinsten Unregelmäßigkeit eine Qual in deinem Körper auszuhalten, die ganz unbeschreiblich ist?! Sind vielleicht an
deiner
linken Seite alle Nerven zu kurz?! Autoritäten haben mich {637} versichert, daß es bei mir der Fall ist! Passieren
dir
vielleicht solche Dinge, daß, wenn du in der Dämmerung in dein Zimmer kommst, du auf deinem Sofa einen Mann sitzen siehst, der dir zunickt und dabei überhaupt gar nicht vorhanden ist?! …«
    »Christian!« stieß Frau Permaneder entsetzt hervor. »Was sprichst du! … Mein Gott, worüber streitet ihr euch eigentlich? Ihr thut, als sei es eine Ehre, der Kränkere zu sein! Wenn es
darauf
ankäme, so hätten leider Gerda und ich auch noch ein Wörtchen mitzureden! … Und Mutter liegt nebenan …!«
    »Und du begreifst nicht, Mensch«, rief Thomas Buddenbrook leidenschaftlich, »daß alle diese Widrigkeiten Folgen und Ausgeburten deiner Laster sind, deines Nichtsthuns, deiner Selbstbeobachtung?! Arbeite! Höre auf, deine Zustände zu hegen und zu pflegen und darüber zu reden! … Wenn du verrückt wirst – und ich sage dir ausdrücklich, daß das nicht unmöglich ist – ich werde nicht im Stande sein, eine Thräne darüber zu vergießen, denn es wird deine Schuld sein, deine allein …«
    »Nein, du wirst auch keine Thräne vergießen, wenn ich sterbe.«
    »Du stirbst ja nicht«, sagte der Senator verächtlich.
    »Ich sterbe nicht? Gut, ich sterbe also nicht! Wir werden ja sehen, wer von uns Beiden früher stirbt! … Arbeite! Wenn ich aber nicht kann? Wenn ich es nun aber auf die Dauer nicht kann, Herr Gott im Himmel?! Ich kann nicht lange Zeit das Selbe thun, ich werde elend davon! Wenn du es gekonnt hast und kannst, so freue dich doch, aber sitze nicht zu Gericht, denn ein Verdienst ist nicht dabei … Gott giebt dem Einen Kraft und dem Anderen nicht … Aber so bist du, Thomas«, fuhr er fort, indem er sich mit immer verzerrterem Gesicht über den Tisch beugte und immer heftiger auf die Platte pochte … »Du bist selbstgerecht … ach, warte nur, das ist es nicht, was ich sagen wollte und was ich gegen dich vorzubringen habe … {638} Aber ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, und das, was ich werde sagen können, ist nur der tausendste … ach, es ist nur der millionste Teil von dem, was ich gegen dich auf dem Herzen habe! Du hast dir einen Platz im Leben erobert, eine geehrte Stellung, und da stehst du nun und weisest kalt und mit Bewußtsein Alles zurück, was dich einen Augenblick beirren und dein Gleichgewicht stören könnte, denn das Gleichgewicht, das ist dir das Wichtigste. Aber es ist nicht das Wichtigste, Thomas, es ist vor Gott nicht die Hauptsache! Du bist ein Egoist, ja, das bist du! Ich liebe dich noch, wenn du schiltst und auftrittst und Einen niederdonnerst. Aber am schlimmsten ist dein Schweigen, am schlimmsten ist es, wenn du auf etwas, was man gesagt hat, plötzlich verstummst und dich zurückziehst und jede Verantwortung ablehnst, vornehm und intakt, und den Anderen hülflos seiner Beschämung

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