Buddenbrooks
weiß nicht, was dich zu dieser Redensart berechtigt. Übrigens muß ich den Umfang deiner Rücksichtnahme bewundern. Am Tage nach Mutters Tode machst du Miene, den Ungehorsam gegen sie zu proklamieren« …
»Weil das Gespräch darauf kam. Und dann ist die Hauptsache die, daß Mutter sich über meinen Schritt nicht mehr alterieren kann. Das kann sie heute so wenig, wie in einem Jahre … Herr Gott, Thomas, Mutter hatte doch nicht unbedingt Recht, sondern nur von ihrem Standpunkt aus, auf den ich {634} Rücksicht genommen habe, solange sie lebte. Sie war eine alte Frau, eine Frau aus einer anderen Zeit, mit einer anderen Anschauungsweise …«
»Nun, so bemerke ich dir, daß diese Anschauungsweise in dem Punkte, der hier in Frage kommt, durchaus auch die meine ist.«
»Darum kann ich mich nicht kümmern.«
»Du
wirst
dich darum kümmern, mein Freund.«
Christian sah ihn an.
»Nein –!« rief er. »Ich kann es nicht! Wenn ich dir sage, daß ich es nicht kann?! … Ich muß wissen, was ich zu thun habe. Ich bin ein erwachsener Mensch …«
»Ach, das mit dem ›erwachsenen Menschen‹ ist etwas sehr Äußerliches bei dir! Du weißt durchaus nicht, was du zu thun hast …«
»Doch! … Ich handle erstens als Ehrenmann … Du bedenkst ja nicht, wie die Sache liegt, Thomas! Hier sitzen Tony und Gerda … wir können nicht ausführlich darüber reden. Aber ich habe dir doch gesagt, daß ich Verpflichtungen habe! Das letzte Kind, die kleine Gisela …«
»Ich weiß von keiner kleinen Gisela und will von keiner wissen! Ich bin überzeugt, daß man dich belügt. Jedenfalls aber hast du einer Person gegenüber, wie der, die du im Sinne hast, keine andere Verpflichtung, als die gesetzliche, die du wie bisher weiter erfüllen magst …«
»Person, Thomas? Person? Du täuschst dich über sie! Aline …«
»Schweig!« rief Senator Buddenbrook mit Donnerstimme. Die beiden Brüder starrten einander jetzt über den Tisch hinweg ins Gesicht, Thomas blaß und zitternd vor Zorn, Christian, indem er seine kleinen, runden, tiefliegenden Augen, deren Lider sich plötzlich entzündet hatten, gewaltsam aufriß und auch seinen Mund in Entrüstung geöffnet hielt, so daß seine {635} hageren Wangen ganz ausgehöhlt erschienen. Ein Stückchen unter den Augen zeigten sich ein Paar rote Flecken … Gerda blickte mit ziemlich spöttischer Miene von Einem zum Anderen, und Tony rang die Hände und sagte flehend:
»Aber Tom … Aber Christian … Und Mutter liegt nebenan!«
»Du bist so sehr jeden Schamgefühles bar«, fuhr der Senator fort, »daß du es über dich gewinnst … nein, daß es dich gar keine Überwindung kostet, an dieser Stelle und unter diesen Umständen diesen Namen zu nennen! Dein Mangel an Takt ist abnorm, er ist krankhaft …«
»Ich begreife nicht, warum ich Alines Namen nicht nennen soll!« Christian war so außerordentlich erregt, daß Gerda ihn mit wachsender Aufmerksamkeit betrachtete. »Ich nenne ihn gerade, wie du hörst, Thomas, ich gedenke, sie zu heiraten, – denn ich sehne mich nach einem Heim, nach Ruhe und Frieden, – und ich verbitte mir, hörst du, das ist das Wort, das ich gebrauche, ich
verbitte
mir jede Einmischung von deiner Seite! Ich bin frei, ich bin mein eigener Herr …«
»Ein Narr bist du! Der Tag der Testamentseröffnung wird dich lehren, wie weit du dein eigener Herr bist! Es ist dafür gesorgt, verstehst du mich, daß du nicht Mutters Erbe verlodderst, wie du bereits dreißigtausend Courantmark im Voraus verloddert hast. Ich werde den Rest deines Vermögens verwalten, und du wirst nie mehr, als ein Monatsgeld in die Hände bekommen, das schwöre ich dir …«
»Nun, du selbst wirst wohl am besten wissen, wer Mutter zu dieser Maßregel veranlaßt hat. Aber wundern muß ich mich doch, daß Mutter mit dem Amte nicht Jemanden betraut hat, der mir näher steht und mir brüderlicher zugethan ist, als du …« Christian war nun ganz und gar außer sich; er fing an, Dinge zu sagen, wie er sie noch niemals hatte laut werden lassen. Er hatte sich über den Tisch gebeugt, pochte unaufhörlich mit der Spitze des gekrümmten Zeigefingers auf die {636} Platte und starrte mit gesträubtem Schnurrbart und geröteten Augen zu seinem Bruder empor, der seinerseits aufrecht, bleich und mit halb gesenkten Lidern auf ihn hinabblickte.
»Dein Herz ist so voll von Kälte und Übelwollen und Mißachtung gegen mich«, fuhr Christian fort, und seine Stimme war zugleich hohl und
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