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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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lieber die Schule beendigt haben!« Und Stephan Kistenmaker antwortete: »Ja, da hast du wahrhaftig recht! … Warum übrigens?«
    Der Senator arbeitete jetzt meistens allein an dem großen Mahagoni-Schreibtisch in seinem Privatbureau; erstens, weil dort niemand es sah, wenn er den Kopf in die Hand stützte und mit geschlossenen Augen grübelte, hauptsächlich aber, weil die haarsträubende Pedanterie, mit der sein Socius, Herr Friedrich Wilhelm Marcus, ihm gegenüber immer aufs Neue seine Utensilien ordnete und seinen Schnurrbart strich, ihn von seinem Fensterplatz im Hauptcomptoir verjagt hatte.
    Die bedächtige Umständlichkeit des alten Herrn Marcus war im Laufe der Jahre zur vollständigen Manie und Wunderlichkeit geworden; was sie aber in letzter Zeit für Thomas Buddenbrook zu etwas unerträglich Aufreizendem und Beleidigendem machte, war der Umstand, daß er selbst zu seinem Entsetzen oftmals etwas Ähnliches an sich beobachten mußte. Ja, auch in ihm, der ehemals aller Kleinlichkeit so abhold gewesen war, hatte sich eine Art von Pedanterie entwickelt, wenn auch aus einer anderen Konstitution und einer anderen Gemütsverfassung heraus.
    In ihm war es leer, und er sah keinen anregenden Plan und keine fesselnde Arbeit, der er sich mit Freude und Befriedigung hätte hingeben können. Sein Thätigkeitstrieb aber, die Unfähigkeit seines Kopfes zu ruhen, seine Aktivität, die stets etwas gründlich Anderes gewesen war, als die natürliche und durable {675} Arbeitslust seiner Väter: etwas Künstliches nämlich, ein Drang seiner Nerven, ein Betäubungsmittel im Grunde, so gut wie die kleinen, scharfen russischen Cigaretten, die er beständig dazu rauchte … sie hatte ihn nicht verlassen, er war ihrer weniger Herr, als jemals, sie hatte überhand genommen und wurde zur Marter, indem sie sich an eine Menge von Nichtigkeiten verzettelte. Er war gehetzt von fünfhundert nichtswürdigen Bagatellen, die zum großen Teil nur die Instandhaltung seines Hauses und seiner Toilette betrafen, die er aus Überdruß verschob, die sein Kopf nicht bei einander zu halten vermochte, und mit denen er nicht in Ordnung kam, weil er unverhältnismäßig viel Nachdenken und Zeit daran verschwendete.
    Das, was man in der Stadt seine »Eitelkeit« nannte, hatte in einer Weise zugenommen, deren er selbst längst begonnen hatte sich zu schämen, ohne daß er imstande gewesen wäre, sich der Gewohnheiten zu entschlagen, die sich in dieser Beziehung entwickelt hatten. Von dem Augenblicke an, da er nach einer nicht unruhig aber in dumpfem und unerquicklichem Schlafe verbrachten Nacht im Schlafrock zu Herrn Wenzel, dem alten Barbier, ins Ankleidezimmer trat – es war 9 Uhr, und er hatte sich früher viel zeitiger erhoben – verbrauchte er volle anderthalb Stunden bei seinem Anzuge, bis er sich fertig und entschlossen fühlte, den Tag zu beginnen, indem er sich zum Thee ins erste Stockwerk hinunterbegab. Seine Toilette war so umständlich und dabei in der Reihenfolge ihrer Einzelheiten, von der kalten Douche im Badezimmer bis zum Schluß, wenn das letzte Stäubchen vom Rocke entfernt war und die Bartenden zum letzten Male durch die Brennschere glitten, so fest und unabänderlich geregelt, daß die beständig wiederholte Abhaspelung dieser zahllosen kleinen Handgriffe und Arbeiten ihn jeden Augenblick zur Verzweiflung brachte. Dennoch hätte er es nicht vermocht, das Kabinet mit dem Bewußtsein zu verlassen, irgend etwas davon unterlassen oder nur {676} flüchtig erledigt zu haben, aus Furcht, dieses Gefühls von Frische, Ruhe und Intaktheit verlustig zu gehen, das doch nach einer einzigen Stunde wieder verloren war und notdürftig erneuert werden mußte.
    Er sparte in allen Dingen, soweit das, ohne sich dem Gerede auszusetzen, thunlich war, – nur nicht in Betreff seiner Garderobe, die er durchaus bei dem elegantesten Schneider von Hamburg anfertigen ließ, und für deren Erhaltung und Ergänzung er keine Kosten scheute. Eine Thür, die in ein anderes Zimmer zu führen schien, verschloß die geräumige Nische, die in eine Wand des Ankleide-Kabinets eingemauert war, und in der an langen Reihen von Haken, über gebogene Holzleisten ausgespannt, die Jackets, smokings, Gehröcke, Fräcke für alle Jahreszeiten und in allen Gradabstufungen der gesellschaftlichen Feierlichkeit hingen, während auf mehreren Stühlen die Beinkleider, sorgfältig in die Falten gelegt, aufgestapelt waren. In der Kommode aber, mit dem gewaltigen Spiegelaufsatz,

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