Buddenbrooks
dessen Platte mit Kämmen, Bürsten und Präparaten für die Pflege des Haupthaares und Bartes bedeckt war, lagerte der Vorrat von verschiedenartiger Leibwäsche, die beständig gewechselt, gewaschen, verbraucht und ergänzt wurde …
In diesem Kabinet verbrachte er nicht nur am Morgen eine lange Zeit, sondern auch vor jedem Diner, jeder Senatssitzung, jeder öffentlichen Versammlung, kurz, immer, bevor es galt, sich unter Menschen zu zeigen und zu bewegen, ja selbst vor den alltäglichen Mahlzeiten zu Hause, bei denen außer ihm selbst nur seine Frau, der kleine Johann und Ida Jungmann zugegen waren. Und wenn er hinaustrat, so verschaffte die frische Wäsche an seinem Körper, die tadellose und diskrete Eleganz seines Anzuges, sein sorgfältig gewaschenes Gesicht, der Geruch der Brillantine in seinem Schnurrbart und der herb-kühle Geschmack des gebrauchten Mundwassers ihm das Befriedigungs- und Bereitschaftsgefühl, mit dem ein Schau {677} spieler, der seine Maske in allen Einzelheiten vollendet hergestellt hat, sich zur Bühne begiebt … Wirklich! Thomas Buddenbrooks Dasein war kein anderes mehr, als das eines Schauspielers, eines solchen aber, dessen ganzes Leben bis auf die geringste und alltäglichste Kleinigkeit zu einer einzigen Produktion geworden ist, einer Produktion, die mit Ausnahme einiger weniger und kurzer Stunden des Alleinseins und der Abspannung beständig alle Kräfte in Anspruch nimmt und verzehrt … Der gänzliche Mangel eines aufrichtig feurigen Interesses, das ihn in Anspruch genommen hätte, die Verarmung und Verödung seines Inneren – eine Verödung, so stark, daß sie sich fast unablässig als ein unbestimmt lastender Gram fühlbar machte – verbunden mit einer unerbittlichen inneren Verpflichtung und zähen Entschlossenheit, um jeden Preis würdig zu repräsentieren, seine Hinfälligkeit mit allen Mitteln zu verstecken und die »Dehors« zu wahren, hatte dies aus seinem Dasein gemacht, hatte es künstlich, bewußt, gezwungen gemacht und bewirkt, daß jedes Wort, jede Bewegung, jede geringste Aktion unter Menschen zu einer anstrengenden und aufreibenden Schauspielerei geworden war.
Seltsame Einzelheiten traten dabei zu Tage, eigenartige Bedürfnisse, die er selbst mit Erstaunen und Widerwillen an sich wahrnahm. Im Gegensatze zu Leuten, die selbst keine Rolle spielen, sondern nur unbeachtet und den Blicken unzugänglich in aller Stille ihre Beobachtungen anstellen wollen, liebte er es nicht, das Tageslicht im Rücken zu haben, sich selbst im Schatten zu wissen und die Leute in heller Beleuchtung vor sich zu sehen; halb geblendet vielmehr das Licht in den Augen zu fühlen und die Leute, sein Publikum, Die, auf die er als liebenswürdiger Gesellschafter oder als lebhafter Geschäftsmann und repräsentierender Firmenchef oder als öffentlicher Redner zu wirken hatte, als eine bloße Masse im Schatten vor sich zu sehen … nur dies gab ihm das Gefühl der Separation und Sicherheit, {678} jenen blinden Rausch des Sich-Produzierens, in dem er seine Erfolge erzielte. Ja, eben dieser rauschartige Zustand der Aktion war es, der ihm allgemach zu dem weitaus erträglichsten geworden war. Wenn er, das Weinglas zur Hand, am Tische stand und mit liebenswürdigem Mienenspiele, gefälligen Gesten und geschickt vorgebrachten Redewendungen, welche einschlugen und beifällige Heiterkeit entfesselten, einen Toast ausbrachte, so konnte er trotz seiner Blässe als der Thomas Buddenbrook von ehedem erscheinen; viel schwerer war es ihm, in unthätigem Stillesitzen die Herrschaft über sich selbst zu bewahren. Dann stiegen Müdigkeit und Überdruß in ihm empor, trübten seine Augen und nahmen ihm die Gewalt über seine Gesichtsmuskeln und die Haltung seines Körpers. Nur Ein Wunsch erfüllte ihn dann: dieser matten Verzweiflung nachzugeben, sich davonzustehlen und zu Hause seinen Kopf auf ein kühles Kissen zu legen.
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Frau Permaneder hatte in der Fischergrube zu Abend gegessen und zwar allein; denn ihre Tochter, die gleichfalls gebeten worden war, hatte nachmittags ihrem Gatten im Gefängnis einen Besuch gemacht und fühlte sich, wie stets in diesem Falle, ermüdet und unwohl, weshalb sie zu Hause geblieben war.
Frau Antonie hatte bei Tische über Hugo Weinschenk gesprochen, dessen Gemütszustand äußerst traurig sein sollte, und dann war die Frage erörtert worden, wann man wohl, mit einiger Aussicht auf Erfolg, dem Senate ein Gnadengesuch werde einreichen können. Nun hatten sich die drei
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