Buddenbrooks
Verwandten im Wohnzimmer um den runden Mitteltisch unter der großen Gaslampe niedergelassen. Gerda Buddenbrook und ihre Schwägerin saßen, mit Handarbeiten beschäftigt, einander gegenüber. Die Senatorin hielt ihr schönes weißes Gesicht über eine Seidenstickerei gebeugt, daß ihr schweres Haar, vom Lich {679} te beschienen, dunkel zu erglühen schien, und Frau Permaneder, den Klemmer gänzlich schief und zweckwidrig auf der Nase, befestigte mit sorglichen Fingern eine große, wunderbar rote Atlasschleife an einem winzigen gelben Körbchen. Das wurde ein Geburtstagsgeschenk für irgend eine Bekannte. Der Senator aber saß seitwärts vom Tische in einem breiten Polsterfauteuil mit schräger Rückenlehne und las mit gekreuzten Beinen die Zeitung, während er dann und wann den Rauch seiner russischen Cigarette einzog und ihn als einen hellgrauen Strom durch den Schnurrbart wieder ausatmete …
Es war ein warmer Sommer-Sonntagabend. Das hohe Fenster stand offen und ließ die laue, ein wenig feuchte Luft das Zimmer erfüllen. Vom Tische aus konnte man, über den grauen Giebeln der gegenüberliegenden Häuser, zwischen ganz langsam ziehenden Wolken die Sterne sehen. Drüben, in dem kleinen Blumenladen von Iwersen war noch Licht. Weiter oben in der stillen Straße ward unter allerhand Mißgriffen eine Handharmonika gespielt, wahrscheinlich von einem Knechte des Fuhrmannes Dankwart. Dann und wann wurde es laut dort draußen. Ein Trupp von Matrosen zog vorüber, die singend, rauchend und Arm in Arm aus einer zweifelhaften Hafenwirtschaft kamen und sich in Feierstimmung nach einer noch zweifelhafteren umthaten. Ihre rauhen Stimmen und wiegenden Schritte verhallten in einer Querstraße.
Der Senator legte die Zeitung neben sich auf den Tisch, schob sein Pincenez in die Westentasche und strich mit der Hand über Stirn und Augen.
»Schwach, sehr schwach, diese ›Anzeigen‹!« sagte er. »Mir fällt jedesmal dabei ein, was Großvater von faden und konsistenzlosen Gerichten sagte: Es schmeckt, als ob man die Zunge zum Fenster hinaushängt … In drei langweiligen Minuten ist man mit dem Ganzen fertig. Es steht einfach gar nichts darin …«
»Ja, Gott weiß es, das darfst du getrost wiederholen, Tom!« {680} sagte Frau Permaneder, indem sie ihre Arbeit sinken ließ und an dem Klemmer vorbei auf ihren Bruder sah … »Was soll auch wohl darin stehen? Ich habe es von jeher gesagt, schon als ganz junges, dummes Ding: Diese Städtischen Anzeigen sind ein klägliches Blättchen! Ich lese sie ja auch, gewiß, weil eben meistens nichts Anderes zur Hand ist … Aber daß der Großhändler Konsul So und So seine silberne Hochzeit zu feiern gedenkt, finde ich meinesteils nicht allzu erschütternd. Man sollte andere Blätter lesen, die Königsberger Hartungsche Zeitung oder die Rheinische Zeitung. Da würde man …«
Sie unterbrach sich. Sie hatte die Zeitung zur Hand genommen, hatte sie noch einmal entfaltet und, während sie sprach, ihre Augen geringschätzig über die Spalten gleiten lassen. Nun aber blieb ihr Blick an einer Stelle haften, einer kurzen Notiz von vier oder fünf Zeilen … Sie verstummte, sie griff mit einer Hand nach ihrem Augenglas, las, während ihr Mund sich langsam öffnete, die Notiz zu Ende und stieß dann zwei Schrekkensrufe aus, wobei sie beide Handflächen gegen die Wangen preßte und die Ellenbogen weit vom Körper entfernt hielt.
»Unmöglich! … Es ist nicht möglich! … Nein, Gerda … Tom … Das konntest du übersehen! … Es ist entsetzlich! … Die arme Armgard! So mußte es für sie kommen …«
Gerda hatte den Kopf von ihrer Arbeit erhoben und Thomas sich erschreckt seiner Schwester zugewandt. Und heftig ergriffen, mit bebender Kehlstimme jedes Wort schicksalsschwer betonend, las Frau Permaneder laut diese Nachricht, die aus Rostock kam und dahin ging, daß gestern Nacht der Rittergutsbesitzer Ralf von Maiboom im Arbeitszimmer des Herrenhauses von Pöppenrade sich vermittelst eines Revolverschusses entleibt habe. »Pekuniäre Bedrängnis scheint der Beweggrund zur That gewesen zu sein. Herr von Maiboom hinterläßt eine Frau mit drei Kindern.« So schloß sie, und dann ließ sie die Zeitung in den Schoß sinken, lehnte sich zurück und sah Bru {681} der und Schwägerin schweigend und fassungslos mit klagenden Augen an.
Thomas Buddenbrook hatte sich, schon während sie las, wieder von ihr abgekehrt und blickte an ihr vorbei, zwischen den Portièren hindurch, in das Dunkel des
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