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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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und stieß wiederholt einen Wehelaut hervor, dessen Ausdruck aus Protest und Klage gemischt war, worauf sie, ohne sich um irgend einen Vorübergehenden noch um die Mahnungen ihrer Tochter zu bekümmern, sich ihren Thränen überließ.
    Es war noch ganz ihr unbedenkliches, erquickendes Kinderweinen, das ihr in allen Stürmen und Schiffbrüchen des Lebens treu geblieben war.

{672} Zehnter Teil.
    1.
    Oftmals, wenn die trüben Stunden kamen, fragte sich Thomas Buddenbrook, was er eigentlich noch sei, was ihn eigentlich noch berechtige, sich auch nur ein wenig höher einzuschätzen, als irgend einen seiner einfach veranlagten, biderben und kleinbürgerlich beschränkten Mitbürger. Die phantasievolle Schwungkraft, der muntere Idealismus seiner Jugend war dahin. Im Spiele zu arbeiten und mit der Arbeit zu spielen, mit einem halb ernst, halb spaßhaft gemeinten Ehrgeiz nach Zielen zu streben, denen man nur einen Gleichniswert zuerkennt – zu solchen heiter skeptischen Kompromissen und geistreichen Halbheiten gehört viel Frische, Humor und guter Mut; aber Thomas Buddenbrook fühlte sich unaussprechlich müde und verdrossen.
    Was für ihn zu erreichen gewesen war, hatte er erreicht, und er wußte wohl, daß er den Höhepunkt seines Lebens, wenn überhaupt, wie er bei sich hinzufügte, bei einem so mittelmäßigen und niedrigen Leben von einem Höhepunkte die Rede sein konnte, längst überschritten hatte.
    Was das rein Geschäftliche betraf, so galt im Allgemeinen sein Vermögen für stark reduziert und die Firma für im Rückgange begriffen. Dennoch war er, sein mütterliches Erbe, den Anteil am Mengstraßenhause und den Grundbesitz eingerechnet, ein Mann von mehr als sechsmalhunderttausend Mark Courant. Das Betriebskapital aber lag brach seit langen Jahren, mit dem pfennigweisen Geschäftemachen, dessen sich der Senator zur Zeit der Pöppenrader Ernteangelegenheit angeklagt hatte, war es seit dem Schlage, den er damals empfangen, nicht besser, sondern schlimmer geworden, und jetzt, in einer Zeit, da Alles sich frisch und siegesfroh regte, da seit dem Ein {673} tritt der Stadt in den Zollverband kleine Krämergeschäfte imstande waren, sich binnen weniger Jahre zu angesehenen Großhandlungen zu entwickeln, jetzt ruhte die Firma Johann Buddenbrook ohne irgend einen Vorteil aus den Errungenschaften der Zeit zu ziehen, und über den Gang der Geschäfte befragt, antwortete der Chef mit matt abwehrender Handbewegung: »Ach, dabei ist nicht viel Freude …« Ein lebhafterer Konkurrent, der ein naher Freund der Hagenströms war, that die Äußerung, daß Thomas Buddenbrook an der Börse eigentlich nur noch dekorativ wirke, und dieser Scherz, der auf das sorgfältig gepflegte Äußere des Senators anspielte, wurde von den Bürgern als eine unerhörte Leistung gewandter Dialektik bewundert und belacht.
    War aber der Senator im Fortwirken für das alte Firmenschild, dem er ehemals mit soviel Enthusiasmus gedient hatte, durch erlittenes Mißgeschick und innere Mattigkeit gelähmt, so waren seinem Emporstreben im städtischen Gemeinwesen äußere Grenzen gezogen, die unüberschreitbar waren. Seit Jahren, schon seit seiner Berufung in den Senat, hatte er auch hier erlangt, was für ihn zu erlangen war. Es gab nur noch Stellungen innezuhalten und Ämter zu bekleiden, aber nichts mehr zu erobern; es gab nur noch Gegenwart und kleinliche Wirklichkeit, aber keine Zukunft und keine ehrgeizigen Pläne mehr. Zwar hatte er seine Macht in der Stadt umfänglicher zu gestalten gewußt, als ein Anderer an seiner Stelle das vermocht hätte, und seinen Feinden wurde es schwer, zu leugnen, daß er »des Bürgermeisters rechte Hand« sei. Bürgermeister aber konnte Thomas Buddenbrook nicht werden, denn er war Kaufmann und nicht Gelehrter, er hatte kein Gymnasium absolviert, war nicht Jurist und überhaupt nicht akademisch ausgebildet. Er aber, der von jeher seine Mußestunden mit historischer und litterarischer Lektüre ausgefüllt hatte, der sich seiner gesamten Umgebung an Geist, Verstand und innerer wie äu {674} ßerer Bildung überlegen fühlte, er verwand nicht den Ärger darüber, daß das Fehlen der ordnungsmäßigen Qualifikationen es ihm unmöglich machte, in dem kleinen Reich, in das er hineingeboren, die erste Stelle einzunehmen. »Wie dumm sind wir gewesen«, sagte er zu seinem Freunde und Bewunderer Stephan Kistenmaker – aber mit dem »wir« meinte er nur sich allein –, »daß wir so früh ins Comptoir gelaufen sind und nicht

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