Buddenbrooks
glückstrahlend und die Unterhaltung nicht eben heiter bewegt. Worüber sollte man plaudern? Es gab nicht viel Erfreuliches in der Welt. Man gedachte der seligen Mutter, sprach über den Hausverkauf, über die helle Etage, die Frau Permaneder vorm Holstenthore in einem freundlichen Hause angesichts der Anlagen des »Lindenplatzes« gemietet hatte, und über das, was geschehen werde, wenn Hugo Weinschenk wieder auf freiem Fuße wäre … Inzwischen spielte der kleine Johann auf dem Flügel Einiges, was er mit Herrn Pfühl geübt hatte, und begleitete seiner Mutter, etwas fehlerhaft, aber mit schönem Klange, eine Sonate von Mozart. Er wurde belobt und geküßt, mußte dann aber von Ida Jungmann zur Ruhe gebracht werden, da er heute Abend, noch infolge einer kaum überstandenen Darmaffektion, sehr blaß und matt aussah.
Selbst Christian, welcher, da er nach jenem Zusammenstoße im Frühstückszimmer von Heiratsgedanken nichts mehr hatte verlautbaren lassen, mit seinem Bruder in dem alten, für ihn nicht sehr ehrenvollen Verhältnis fortlebte, war gänzlich ungesprächig und zu keinem Spaße aufgelegt. Er machte mit wandernden Augen einen kurzen Versuch, bei den Anwesenden ein wenig Verständnis für die »Qual« in seiner linken Seite zu erwecken und ging früh in den Klub, um erst zum Abendessen zurückzukehren, das in der hergebrachten Weise zusammengesetzt war … Dann hatten Buddenbrooks diesen Weihnachtsabend hinter sich und sie waren beinahe froh darüber.
Zu Beginn des Jahres 72 ward der Hausstand der verstorbenen Konsulin aufgelöst. Die Dienstmädchen zogen davon, und Frau Permaneder lobte Gott, als auch Mamsell Severin, die ihr {670} bislang im Wirtschaftswesen aufs Unerträglichste die Autorität streitig gemacht hatte, sich mit den übernommenen Seidenkleidern und Wäschestücken verabschiedete. Dann standen Möbelwagen in der Mengstraße, und die Räumung des alten Hauses begann. Die große geschnitzte Truhe, die vergoldeten Kandelaber und die übrigen Dinge, die dem Senator und seiner Gattin zugefallen waren, wurden nun in die Fischergrube geschafft. Christian bezog mit dem Seinen eine Garçonwohnung von drei Zimmern in der Nähe des Klubs, und die kleine Familie Permaneder-Weinschenk hielt ihren Einzug in dem hellen und nicht ohne Anspruch auf Vornehmheit eingerichteten Stockwerk am Lindenplatze. Es war eine hübsche kleine Wohnung, und an der Etagenthür stand auf einem blanken Kupferschilde in zierlicher Schrift zu lesen:
A. Permaneder-Buddenbrook, Witwe.
Kaum aber stand das Haus in der Mengstraße leer, als auch schon eine Schar von Arbeitern am Platze erschien, die das Rückgebäude abzubrechen begannen, daß der alte Mörtelstaub die Luft verfinsterte … Das Grundstück war nun endgültig in den Besitz Konsul Hagenströms übergegangen. Er hatte es gekauft, er schien seinen Ehrgeiz darein gesetzt zu haben, es zu kaufen, denn ein Angebot, das Herrn Sigismund Gosch von Bremen aus zugegangen war, hatte er unverzüglich überboten, und er begann nun, sein Eigentum in der ingeniösen Art zu verwerten, die man seit langer Zeit an ihm bewunderte. Schon im Frühjahr bezog er mit seiner Familie das Vorderhaus, indem er dort nach Möglichkeit Alles beim Alten beließ, vorbehaltlich kleiner gelegentlicher Renovierungen und abgesehen von einigen sofortigen, der Neuzeit entsprechenden Änderungen; zum Beispiel wurden alle Glockenzüge abgeschafft und das Haus durchaus mit elektrischen Klingeln versehen … Schon aber war das Rückgebäude vom Boden verschwunden, und an seiner Statt stieg ein neues empor, ein {671} schmucker und luftiger Bau, dessen Front der Bäckergrube zugekehrt war und der für Magazine und Läden hohe und weite Räume bot.
Frau Permaneder hatte ihrem Bruder Thomas gegenüber wiederholt eidlich beteuert, daß fortan keine Macht der Erde sie werde bewegen können, ihr Elternhaus auch nur mit einem Blicke wieder zu sehen. Allein, es war unmöglich, dies innezuhalten, und hie und da führte ihr Weg sie notwendig an den rasch aufs Vorteilhafteste vermieteten Läden und Schaufenstern des Rückgebäudes oder der ehrwürdigen Giebelfaçade andererseits vorüber, wo nun unter dem »Dominus providebit« der Name Konsul Hermann Hagenströms zu lesen war. Dann aber begann Frau Permaneder-Buddenbrook auf offener Straße und angesichts noch so vieler Menschen einfach laut zu weinen. Sie legte den Kopf zurück, ähnlich einem Vogel, der zu singen anhebt, drückte das Schnupftuch gegen die Augen
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