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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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heben …
    Mit seinem braunen Haar, das er jetzt seitwärts gescheitelt und schräg von seiner weißen Stirn zurückgebürstet trug, das aber dennoch danach strebte, sich in weichen Locken tief über die Schläfen zu schmiegen, mit seinen langen, braunen Wimpern und seinen goldbraunen Augen stach Johann Buddenbrook auf dem Schulhof und auf der Straße trotz seines Kopenhagener Matrosenanzuges stets ein wenig fremdartig unter den hellblonden und stahlblauäugigen, skandinavischen Typen seiner Kameraden hervor. Er war in letzter Zeit ziemlich stark gewachsen, aber seine Beine in den schwarzen Strümpfen und seine Arme in den dunkelblauen, bauschigen und gesteppten Ärmeln waren schmal und weich wie die eines Mädchens, und noch immer lagen, wie bei seiner Mutter, die bläulichen {684} Schatten in den Winkeln seiner Augen, – dieser Augen, die, besonders wenn sie seitwärts gerichtet waren, mit einem so zagen und ablehnenden Ausdruck dareinblickten, während sein Mund sich noch immer auf jene wehmütige Art geschlossen hielt oder während Hanno nachdenklich die Zungenspitze an einem Zahne scheuerte, dem er mißtraute, mit leicht verzerrten Lippen und einer Miene, als fröre ihn …
    Wie man von Doktor Langhals erfuhr, der jetzt die Praxis des alten Doktor Grabow gänzlich übernommen hatte und Hausarzt bei Buddenbrooks war, hatte Hannos unzulänglicher Kräftezustand sowie die Blässe seiner Haut ihren triftigen Grund, und dieser bestand darin, daß der Organismus des Kleinen leider die so wichtigen roten Blutkörperchen in nicht genügender Anzahl produzierte. Dieser Unzuträglichkeit zu steuern aber gab es ein Mittel, ein ganz vortreffliches Mittel, das Doktor Langhals in großen Mengen verordnete: Leberthran, guter, gelber, fetter, dickflüssiger Dorschleberthran, der aus einem Porzellanlöffel zweimal täglich zu nehmen war; und auf entschiedenen Befehl des Senators sorgte Ida Jungmann mit liebevoller Strenge dafür, daß dies pünktlich geschah. Anfangs zwar erbrach sich Hanno nach jedem Löffel, und sein Magen schien den guten Dorschleberthran nicht beherbergen zu können; aber er gewöhnte sich daran, und wenn man gleich nach dem Niederschlucken ein Stück Roggenbrot mit angehaltenem Atem im Munde zerkaute, so ward der Ekel ein wenig beruhigt.
    Alle übrigen Beschwerden waren ja nur Folgeerscheinungen dieses Mangels an roten Blutkörperchen, »sekundäre Erscheinungen«, wie Doktor Langhals sagte, indem er seine Fingernägel besah. Allein auch diesen sekundären Erscheinungen mußte unnachsichtig zu Leibe gegangen werden. Um die Zähne zu behandeln, zu füllen und gegebenen Falles zu extrahieren, dazu wohnte Herr Brecht mit seinem Josephus in der Mühlenstraße; und um die Verdauung zu regulieren, gab es {685} Ricinusöl auf der Welt, gutes, dickes, silberblankes Ricinusöl, welches, aus einem Eßlöffel genommen, wie ein schlüpfriger Molch durch die Kehle glitschte, und das man drei Tage lang roch, schmeckte, im Schlunde spürte wo man ging und stand … Ach, warum war das alles doch so unüberwindlich widerlich? Ein einziges Mal – Hanno hatte recht krank zu Bette gelegen und sein Herz hatte sich besondere Unregelmäßigkeiten zu Schulden kommen lassen – war Doktor Langhals mit einer gewissen Nervosität zur Verschreibung eines Mittels geschritten, das dem kleinen Johann Freude gemacht und ihm so unvergleichlich wohlgethan hatte: und das waren Arsenikpillen gewesen. Hanno fragte in der Folge oftmals danach, von einem beinahe zärtlichen Bedürfnis nach diesen kleinen, süßen, beglückenden Pillen getrieben. Aber er erhielt sie nicht mehr.
    Leberthran und Ricinusöl waren gute Dinge, aber darin war Doktor Langhals vollständig mit dem Senator einig, daß sie allein nicht hinreichten, den kleinen Johann zu einem tüchtigen und wetterfesten Manne zu machen, wenn er selbst nicht das Seine dazu thäte. Da waren zum Beispiel, geleitet von dem Turnlehrer Herrn Fritsche, die Turnspiele, die zur Sommerszeit allwöchentlich draußen auf dem »Burgfelde« veranstaltet wurden und der männlichen Jugend der Stadt Gelegenheit gaben, Mut, Kraft, Gewandtheit und Geistesgegenwart zu zeigen und zu pflegen. Aber zum Zorne seines Vaters legte Hanno nichts als Widerwillen, einen stummen, reservierten, beinahe hochmütigen Widerwillen gegen solche gesunden Unterhaltungen an den Tag … Warum hatte er so gar keine Fühlung mit seinen Klassen- und Altersgenossen, mit denen er später zu leben und zu wirken haben würde?

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