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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Welt über seinen Gram, seinen Haß, seine Ohnmacht in Unwissenheit zu erhalten, war so fürchterlich schwer! Die Leute fingen an, ihn ein wenig lächerlich zu finden, aber vielleicht hätten sie Mitleid verspürt, und solche Gefühle unterdrückt, wenn sie im Entferntesten vermutet hätten, mit welcher angstvollen Reizbarkeit er vor dem Lächerlichen auf der Hut war, wie er es längst von Weitem hatte nahen sehen und es vorausempfunden hatte, bevor noch ihnen irgend etwas davon in den Sinn gekommen war. Auch seine Eitelkeit, diese vielfach bespöttelte »Eitelkeit«, war ja zum guten Teile aus dieser Sorge hervorgegangen. Er war der Erste gewesen, der das beständig hervortretende Mißverhältnis zwischen seiner eigenen Erscheinung und Gerdas son {712} derbarer Unberührtheit, der die Jahre nichts anhatten, mit Argwohn ins Auge gefaßt hatte, und jetzt, seit Herr von Throta in sein Haus gekommen war, mußte er seine Besorgnis mit dem Rest seiner Kräfte bekämpfen und verstecken, mußte es, um nicht durch das Kundwerden dieser Besorgnis schon seinen Namen dem allgemeinen Lächeln preiszugeben.
    Gerda Buddenbrook und der junge, eigenartige Offizier hatten einander, wie sich versteht, auf dem Gebiete der Musik gefunden. Herr von Throta spielte Klavier, Geige, Bratsche, Violoncell und Flöte – Alles vortrefflich – und oft ward dem Senator der kommende Besuch im Voraus angekündigt, dadurch, daß Herr von Throtas Bursche, den Cello-Kasten auf dem Rücken schleppend, an den grünen Fenstervorsätzen des Privat-Comptoirs vorüberging und im Hause verschwand … Dann saß Thomas Buddenbrook an seinem Schreibtisch und wartete, bis er auch ihn selbst, den Freund seiner Frau, in sein Haus eintreten sah, bis über ihm im Salon die Harmonieen aufwogten, die unter Singen, Klagen und übermenschlichem Jubeln gleichsam mit krampfhaft ausgestreckten, gefalteten Händen emporrangen und nach allen irren und vagen Extasen in Schwäche und Schluchzen hinsanken in Nacht und Schweigen. Mochten sie doch rollen und brausen, weinen und jauchzen, einander aufschäumend umschlingen und sich so übernatürlich gebärden wie sie nur wollten! Das Schlimme, das eigentlich Qualvolle war die Lautlosigkeit, die ihnen folgte, die dann dort oben im Salon so lange, lange herrschte, und die zu tief und unbelebt war, um nicht Grauen zu erregen. Kein Schritt erschütterte die Decke, kein Stuhl ward gerückt; es war eine unlautere, hinterhältige, schweigende,
ver
schweigende Stille … Dann saß Thomas Buddenbrook und ängstigte sich so sehr, daß er manchmal leise ächzte.
    Was fürchtete er? Wieder hatten die Leute Herrn von Throta in das Haus eintreten sehen, und mit ihren Augen gleichsam, {713} so, wie es sich ihnen darstellte, sah er dies Bild: sich selbst, den alternden, abgenutzten und übellaunigen Mann unten im Comptoir am Fenster sitzen, während droben seine schöne Frau mit ihrem Galan musizierte und nicht nur musizierte … Ja, so erschienen ihnen die Dinge, er wußte es. Und dennoch wußte er auch, daß das Wort »Galan« für Herrn von Throta eigentlich sehr wenig bezeichnend war. Ach, er wäre beinahe glücklich gewesen, wenn er ihn so hätte nennen und auffassen dürfen, ihn als einen windigen, unwissenden und ordinären Jungen hätte verstehen und verachten können, der eine normale Portion von Übermut in ein wenig Kunst ausströmen läßt und damit Frauenherzen gewinnt. Er ließ nichts unversucht, ihn zu einer solchen Figur zu stempeln. Er rief einzig und allein zu diesem Behufe die Instinkte seiner Väter in sich wach: das ablehnende Mißtrauen des seßhaften und sparsamen Kaufmannes gegenüber der abenteuerlustigen, leichtfertigen und geschäftlich unsicheren Kriegerkaste. In Gedanken sowohl, wie in Gesprächen nannte er Herrn von Throta beständig mit geringschätziger Betonung »der Leutnant«; und dabei fühlte er allzu gut, daß dieser Titel nach allen am schlechtesten geeignet war, das Wesen dieses jungen Mannes auszudrücken …
    Was fürchtete Thomas Buddenbrook? Nichts … Nichts Nennbares. Ach, hätte er sich gegen etwas Handgreifliches, Einfaches und Brutales zur Wehre setzen dürfen! Er neidete den Leuten dort draußen die Schlichtheit des Bildes, das sie sich von der Sache machten; aber während er hier saß und, den Kopf in den Händen, qualvoll horchte, wußte er allzu wohl, daß »Betrug« und »Ehebruch« nicht Laute waren, um die singenden und abgründig stillen Dinge bei Namen zu nennen, die sich dort

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