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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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noch als ich …«
    Aber es war nicht nur dies; es war nicht mehr allein die Sorge um die Zukunft seines Sohnes und seines Hauses, unter der er litt. Etwas Anderes, Neues kam über ihn, bemächtigte sich seiner und trieb seine müden Gedanken vor sich her … Sobald er nämlich sein zeitliches Ende nicht mehr als eine ferne, theoretische und unbeträchtliche Notwendigkeit, sondern als etwas ganz Nahes und Greifbares betrachtete, für das es unmittelbare Vorbereitungen zu treffen galt, begann er, zu grübeln, in sich zu forschen, sein Verhältnis zum Tode und den unirdischen Fragen zu prüfen … und bereits bei den ersten derartigen Versuchen ergab sich ihm als Resultat eine heillose Unreife und Unbereitschaft seines Geistes, zu sterben.
    Der Buchstabenglaube, das schwärmerische Bibel-Christen {719} tum, das sein Vater mit einem sehr praktischen Geschäftssinn zu verbinden gewußt, und das später auch seine Mutter übernommen hatte, war ihm immer fremd gewesen. Sein Lebtag vielmehr hatte er den ersten und letzten Dingen die weltmännische Skepsis seines Großvaters entgegengebracht; zu tief aber, zu geistreich und zu metaphysisch bedürftig, um in der behaglichen Oberflächlichkeit des alten Johann Buddenbrook Genüge zu finden, hatte er sich die Fragen der Ewigkeit und Unsterblichkeit historisch beantwortet und sich gesagt, daß er in seinen Vorfahren gelebt habe und in seinen Nachfahren leben werde. Dies hatte nicht allein mit seinem Familiensinn, seinem Patrizierselbstbewußtsein, seiner geschichtlichen Pietät übereingestimmt, es hatte ihn auch in seiner Thätigkeit, seinem Ehrgeiz, seiner ganzen Lebensführung unterstützt und bekräftigt. Nun aber zeigte sich, daß es vor dem nahen und durchdringenden Auge des Todes dahinsank und zunichte ward, unfähig, auch nur eine Stunde der Beruhigung und Bereitschaft hervorzubringen.
    Obgleich Thomas Buddenbrook in seinem Leben hie und da mit einer kleinen Neigung zum Katholicismus gespielt hatte, war er doch ganz erfüllt von dem ernsten, tiefen, bis zur Selbstpeinigung strengen und unerbittlichen Verantwortlichkeitsgefühl des echten und leidenschaftlichen Protestanten. Nein, dem Höchsten und Letzten gegenüber gab es keinen Beistand von außen, keine Vermittlung, Absolution, Betäubung und Tröstung! Ganz einsam, selbständig und aus eigener Kraft mußte man in heißer und emsiger Arbeit, ehe es zu spät war, das Rätsel entwirren und sich klare Bereitschaft erringen, oder in Verzweiflung dahinfahren … Und Thomas Buddenbrook wandte sich enttäuscht und hoffnungslos von seinem einzigen Sohne ab, in dem er stark und verjüngt fortzuleben gehofft hatte, und fing an, in Hast und Furcht nach der Wahrheit zu suchen, die es irgendwo für ihn geben mußte …
    {720} Es war der Hochsommer des Jahres vierundsiebenzig. Silberweiße, rundliche Wolken zogen am tiefblauen Himmel über die zierliche Symmetrie des Stadtgartens hin, in den Zweigen des Wallnußbaumes zwitscherten die Vögel mit fragender Betonung, der Springbrunnen plätscherte inmitten des Kranzes von hohen, lilafarbenen Schwertlilien, der ihn umgab, und der Duft des Flieders vermischte sich leider mit dem Syrup-Geruch, den ein warmer Luftzug von der nahen Zuckerbrennerei herübertrug. Zum Erstaunen des Personals verließ der Senator jetzt oftmals in voller Arbeitszeit das Comptoir, um sich, die Hände auf dem Rücken, in seinem Garten zu ergehen, den Kies zu harken, den Schlamm vom Springbrunnen zu fischen oder einen Rosenzweig zu stützen … Sein Gesicht, mit den hellen Brauen, von denen eine ein wenig emporgezogen war, schien ernst und aufmerksam bei diesen Beschäftigungen; aber seine Gedanken gingen weit fort im Dunklen, ihre eigenen, mühseligen Pfade.
    Manchmal setzte er sich, auf der Höhe der kleinen Terrasse, in den von Weinlaub gänzlich eingehüllten Pavillon und blickte, ohne etwas zu sehen, über den Garten hin auf die rote Rückwand seines Hauses. Die Luft war warm und süß, und es war, als ob die friedlichen Geräusche rings umher ihm besänftigend zusprächen und ihn einzulullen trachteten. Müde vom Ins Leere starren, von Einsamkeit und Schweigen, schloß er dann und wann die Augen, um sich alsbald wieder aufzuraffen und hastig den Frieden von sich zu scheuchen. Ich muß denken, sagte er beinahe laut … Ich muß Alles ordnen, ehe es zu spät ist …
    Hier aber war es, in diesem Pavillon, in dem kleinen Schaukelstuhl aus gelbem Rohr, wo er eines Tages vier volle Stunden lang mit

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