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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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oben begaben.
    Manchmal, wenn er hinaus auf die grauen Giebel und die vorübergehenden Bürger blickte, wenn er seine Augen auf der vor ihm hängenden Gedenktafel, dem Jubiläumsgeschenk, den {714} Portraits seiner Väter ruhen ließ und der Geschichte seines Hauses gedachte, so sagte er sich, daß all dies das Ende von Allem sei, und daß nur dies, was jetzt vorgehe, noch gefehlt habe. Ja, es hatte nur gefehlt, daß seine Person zum Gespött werde und sein Name, sein Familienleben in das Geschrei der Leute komme, damit Allem die Krone aufgesetzt würde … Aber dieser Gedanke that ihm fast wohl, weil er ihm einfach, faßlich und gesund, ausdenkbar und aussprechbar erschien im Vergleich mit dem Brüten über diesem schimpflichen Rätsel, diesem mysteriösen Skandal zu seinen Häupten …
    Er ertrug es nicht länger, er schob den Sessel zurück, verließ das Comptoir und stieg in das Haus hinauf. Wohin sollte er sich wenden? In den Salon, um Herrn von Throta unbefangen und ein wenig von oben herab zu begrüßen, ihn zum Abendessen zu bitten und, wie schon mehrere Male, eine abschlägige Antwort entgegenzunehmen? Denn es war das eigentlich Unerträgliche, daß der Leutnant ihn vollständig mied, fast alle offiziellen Einladungen ablehnte und nur an dem privaten und freien Verkehr mit der Senatorin festzuhalten beliebte …
    Warten? Irgendwo, vielleicht im Rauchzimmer, warten, bis er fortginge, und dann vor Gerda treten und sich mit ihr aussprechen, sie zur Rede stellen? – Man stellte Gerda nicht zur Rede, man sprach sich mit ihr nicht aus. Worüber? Das Bündnis mit ihr war auf Verständnis, Rücksicht und Schweigen gegründet. Es war nicht nötig, sich auch vor ihr noch lächerlich zu machen. Den Eifersüchtigen spielen, hieße den Leuten dort draußen recht geben, den Skandal proklamieren, ihn laut werden lassen … Empfand er Eifersucht? Auf wen? Auf was? Ach, weit entfernt! etwas so Starkes weiß Handlungen hervorzubringen, falsche, thörichte vielleicht, aber eingreifende und befreiende. Ach nein, nur ein wenig Angst empfand er, ein wenig quälende und jagende Angst vor dem Ganzen …
    Er ging in sein Ankleidekabinet hinauf, um sich die Stirn mit {715} Eau de Cologne zu waschen, und stieg dann wieder zum ersten Stockwerk hinunter, entschlossen, das Schweigen im Salon um jeden Preis zu brechen. Aber als er den schwarzgoldenen Griff der weißen Thür schon erfaßt hielt, setzte mit einem stürmischen Aufbrausen die Musik wieder ein, und er wich zurück.
    Er ging über die Gesindetreppe ins Erdgeschoß hinab, über die Diele und den kalten Flur bis zum Garten, kehrte wieder zurück und machte sich auf der Diele mit dem ausgestopften Bären und auf dem Absatz der Haupttreppe mit dem Goldfischbassin zu schaffen, unfähig, irgendwo zur Ruhe zu kommen, horchend und lauernd, voll Scham und Gram, niedergedrückt und umhergetrieben von dieser Furcht vor dem heimlichen und vor dem öffentlichen Skandal …
    Einstmals, in solcher Stunde, als er im zweiten Stockwerk an der Gallerie lehnte und durch das lichte Treppenhaus hinunterblickte, wo Alles schwieg, kam der kleine Johann aus seinem Zimmer, die Stufen des »Altans« herab und über den Korridor, um sich in irgend einer Angelegenheit zu Ida Jungmann zu begeben. Er wollte, indem er mit dem Buche, das er trug, die Wand entlangstrich, mit gesenkten Augen und einem leisen Gruße an seinem Vater vorübergehen; aber der Senator redete ihn an.
    »Nun, Hanno, was treibst du?«
    »Ich arbeite, Papa; ich will zu Ida, um ihr vorzuübersetzen …«
    »Wie geht es? Was hast du auf?«
    Und immer mit gesenkten Wimpern, aber rasch und sichtlich angestrengt, mit einer korrekten, klaren und geistesgegenwärtigen Antwort aufzuwarten, erwiderte Hanno, nachdem er eilig hinuntergeschluckt hatte:
    »Wir haben eine Nepos-Präparation, eine kaufmännische Rechnung ins Reine zu schreiben, französische Grammatik, Die Flüsse von Nord-Amerika … Deutsche Aufsatz-Korrektur …«
    {716} Er schwieg, unglücklich darüber, daß er zuletzt nicht »und« gesagt und die Stimme mit Entschiedenheit gesenkt hatte; denn nun wußte er nicht mehr zu nennen, und die ganze Antwort war wieder abrupt und ungeschlossen hervorgebracht. – »
Mehr
nicht«, sagte er, so bestimmt er konnte, wenn auch ohne aufzublicken. Aber sein Vater schien nicht darauf zu achten. Er hielt Hannos freie Hand in seinen Händen und spielte damit, zerstreut und augenscheinlich ohne etwas von dem Gesagten aufgefangen zu haben,

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