Buddenbrooks
fingerte unbewußt und langsam an den zarten Gelenken und schwieg.
Und dann, plötzlich, vernahm Hanno über sich etwas, was in gar keinem Zusammenhange mit dem eigentlichen Gespräche stand, eine leise, angstvoll bewegte und beinahe beschwörende Stimme, die er noch nie gehört, die Stimme seines Vaters dennoch, welche sagte:
»Nun ist der Leutnant schon zwei Stunden bei Mama … Hanno …«
Und siehe da, bei diesem Klange schlug der kleine Johann seine goldbraunen Augen auf und richtete sie so groß, klar und liebevoll wie noch niemals auf seines Vaters Gesicht, dieses Gesicht mit den geröteten Lidern unter den hellen Brauen und den weißen, ein wenig gedunsenen Wangen, die von den lang ausgezogenen Spitzen des Schnurrbartes starr überragt wurden. Gott weiß, wieviel er begriff. Das Eine aber war sicher, und sie fühlten es Beide, daß in diesen Sekunden, während ihre Blicke in einander ruhten, jede Fremdheit und Kälte, jeder Zwang und jedes Mißverständnis zwischen ihnen dahinsank, daß Thomas Buddenbrook, wie hier, so überall, wo es sich nicht um Energie, Tüchtigkeit und helläugige Frische, sondern um Furcht und Leiden handelte, des Vertrauens und der Hingabe seines Sohnes gewiß sein konnte.
Er achtete dessen nicht, er sträubte sich, dessen zu achten. Strenger, als jemals, zog er Hanno in dieser Zeit zu praktischen {717} Vorübungen für sein künftiges, thätiges Leben heran, examinierte er seine Geisteskräfte, drang er in ihn nach entschlossenen Äußerungen der Lust zu dem Beruf, der seiner harrte, und brach in Zorn aus bei jedem Zeichen des Widerstrebens und der Mattigkeit … Denn es war an dem, daß Thomas Buddenbrook, achtundvierzig Jahre alt, seine Tage mehr und mehr als gezählt betrachtete und mit seinem nahen Tode zu rechnen begann.
Sein körperliches Befinden hatte sich verschlechtert. Appetit- und Schlaflosigkeit, Schwindel und jene Schüttelfröste, zu denen er immer geneigt hatte, zwangen ihn mehrere Male, Doktor Langhals zu Rate zu ziehen. Aber er gelangte nicht dazu, des Arztes Verordnungen zu befolgen. Seine Willenskraft, in Jahren voll geschäftiger und gehetzter Thatenlosigkeit angegriffen, reichte nicht aus dazu. Er hatte begonnen, am Morgen sehr lange zu schlafen, obgleich er jeden Abend den zornigen Entschluß faßte, sich früh zu erheben, um den anbefohlenen Spaziergang vorm Thee zu machen. In Wirklichkeit führte er dies zwei- oder dreimal aus … und so ging es in all und jeder Sache. Die beständige Anspannung des Willens ohne Erfolg und Genugthuung zehrte an seiner Selbstachtung und stimmte ihn verzweifelt. Er war weit entfernt, sich den betäubenden Genuß der kleinen, scharfen, russischen Cigaretten zu versagen, die er, seit seiner Jugend schon, täglich in Massen rauchte. Er sagte dem Doktor Langhals ohne Umschweife in sein eitles Gesicht hinein:
»Sehen Sie, Doktor, mir die Cigaretten zu verbieten, ist Ihre Pflicht … eine sehr leichte und sehr angenehme Pflicht, wahrhaftig! Das Verbot innezuhalten, ist meine Sache; dabei dürfen Sie zusehen … Nein, wir wollen zusammen an meiner Gesundheit arbeiten, aber die Rollen sind zu ungerecht verteilt, mir fällt ein zu großer Anteil an dieser Arbeit zu! Lachen Sie nicht … Das ist kein Witz … Man ist so fürchterlich allein … Ich rauche. Darf ich bitten?«
{718} Und er präsentierte ihm sein Tula-Etui …
Alle seine Kräfte nahmen ab; was sich in ihm verstärkte, war allein die Überzeugung, daß dies Alles nicht lange währen könne, und daß sein Hintritt nahe bevorstehe. Es kamen ihm seltsame und ahnungsvolle Vorstellungen. Einige Male befiel ihn bei Tische die Empfindung, daß er schon nicht mehr eigentlich mit den Seinen zusammensitze, sondern, in eine gewisse, verschwommene Ferne entrückt, zu ihnen hinüberblikke … Ich werde sterben, sagte er sich, und er rief abermals Hanno zu sich, und sprach auf ihn ein:
»Ich kann früher dahingehen, als wir denken, mein Sohn. Du mußt dann am Platze sein! Auch ich bin früh berufen worden … Begreife doch, daß deine Indifferenz mich quält! Bist du nun entschlossen? … Ja – ja – das ist keine Antwort, das ist wieder keine Antwort! Ob du mit Mut und Freudigkeit entschlossen bist, frage ich … Glaubst du, daß du Geld genug hast, und nichts wirst zu thun brauchen? Du hast nichts, du hast bitterwenig, du wirst gänzlich auf dich selbst gestellt sein! Wenn du leben willst, und sogar gut leben, so wirst du arbeiten müssen, schwer, hart, härter
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