Buddenbrooks
weiß …« Sie schwieg und man sah wie eine schöne Hoffnung vor ihren Augen zusammenstürzte.
»Wünschen der Herr das Fräulein zu sprechen?« wandte sich der Lotsenkommandeur mit rauher Stimme an Herrn Grünlich …
»Sie ist in ihrem Zimmer! Sie schläft!« erklärte Frau Schwarzkopf mitleidig und gerührt.
{167} »Das bedaure ich«, sagte Herr Grünlich, obgleich er ein wenig aufatmete, und erhob sich. »Übrigens wiederhole ich, daß meine Zeit gemessen ist, und daß mein Wagen mich erwartet. Ich gestatte mir«, fuhr er fort, indem er vor Herrn Schwarzkopf mit dem Hute eine Bewegung von oben nach unten beschrieb, »Ihnen, Herr Kommandeur, meine vollste Genugthuung und Anerkennung angesichts Ihres männlichen und charaktervollen Benehmens auszusprechen. Ich empfehle mich Ihnen. Ich habe die Ehre. Adieu.«
Diederich Schwarzkopf reichte ihm keineswegs die Hand: Er ließ nur kurz und ruckartig seinen schweren Oberkörper ein wenig nach vorne fallen, als wollte er sagen: So macht man es ja wohl!
Zwischen Morten und seiner Mutter hindurch, ging Herr Grünlich gemessenen Schrittes zur Thür hinaus.
12.
Thomas erschien mit der Krögerschen Kalesche. Der Tag war da.
Der junge Herr kam um 10 Uhr des Vormittags und nahm einen kleinen Imbiß mit der Familie in der Wohnstube. Man saß bei einander wie am ersten Tage; nur daß der Sommer dahin war, daß es zu kalt und windig war, in der Veranda zu sitzen und daß Morten fehlte … Er war in Göttingen. Tony und er hatten nicht einmal ordentlich Abschied von einander genommen. Der Lotsenkommandeur hatte dabeigestanden und gesagt: »So, Punktum. Hü.«
Um 11 Uhr stiegen die Geschwister in den Wagen, an dessen hinterem Teile Tonys großer Koffer festgeschnallt worden war. Sie war blaß und fröstelte in ihrer weichen Herbstjacke vor Kälte, Müdigkeit, Reisefieber und einer Wehmut, die dann und wann plötzlich in ihr aufstieg und ihre Brust mit einem drän {168} genden Schmerzgefühl erfüllte. Sie küßte die kleine Meta, drückte der Hausfrau die Hand und nickte Herrn Schwarzkopf zu, als er sagte:
»Na, vergessen Sie uns nicht, Mamselling. Und nichts für ungut, was?«
»So, und glückliche Reise und beste Empfehlungen an den Herrn Papa und die Frau Konsulin …« Dann schnappte der Schlag ins Schloß, die dicken Braunen zogen an, und die drei Schwarzkopfs schwenkten ihre Tücher …
Tony drückte den Kopf in die Wagenecke und sah zum Fenster hinaus. Der Himmel war weißlich bedeckt, die Trave warf kleine Wellen, die schnell vor dem Winde dahineilten. Dann und wann prickelten kleine Tropfen gegen die Scheiben. Am Ausgang der »Vorderreihe« saßen die Leute vor ihren Hausthüren und flickten Netze; barfüßige Kinder kamen herbeigelaufen und betrachteten neugierig den Wagen.
Die
blieben hier …
Als der Wagen die letzten Häuser zurückließ, beugte Tony sich vor, um noch einmal den Leuchtturm zu sehen; dann lehnte sie sich zurück und schloß die Augen, die müde und empfindlich waren. Sie hatte in der Nacht fast nicht geschlafen vor Erregung, war früh aufgestanden, um ihren Koffer in Ordnung zu bringen und hatte nicht frühstücken mögen. In ihrem ausgetrockneten Munde hatte sie einen faden Geschmack. Sie fühlte sich so hinfällig, daß sie es nicht einmal versuchte, die Thränen zurückzudrängen, die jeden Augenblick langsam und heiß in ihre Augen emporstiegen.
Kaum hatte sie ihre Lider geschlossen, als sie sich wieder in Travemünde, in der Veranda befand. Sie sah Morten Schwarzkopf leibhaftig vor sich, wie er zu ihr sprach, sich nach seiner Art dabei vorbeugte und hie und da einen Anderen gutmütig forschend ansah; wie er lachend seine schönen Zähne zeigte, von denen er ersichtlich gar nichts wußte … und es wurde ihr {169} ganz ruhig und heiter dabei zu Sinn. Sie rief sich Alles ins Gedächtnis zurück, was sie in vielen Gesprächen von ihm gehört und erfahren hatte, und es bereitete ihr eine beglückende Genugthuung, sich feierlich zu versprechen, daß sie dies Alles als etwas Heiliges und Unantastbares in sich bewahren wollte. Daß der König von Preußen ein großes Unrecht begangen, daß die Städtischen Anzeigen ein klägliches Blättchen seien, ja selbst, daß vor vier Jahren die Bundesgesetze über die Universitäten erneuert worden, das würden ihr fortan ehrwürdige und tröstliche Wahrheiten sein, ein geheimer Schatz, den sie würde betrachten können, wann sie wollte. Mitten auf der Straße, im Familienkreise, beim Essen würde
Weitere Kostenlose Bücher