Buddenbrooks
sich gar nicht sagen läßt. O Papa! Darüber könnte ich viele Bogen vollschreiben, ich spreche von Herrn Morten Schwarzkopf, der Arzt werden will, und, sowie er Doktor ist, um meine Hand anhalten will. Ich weiß ja, daß es Sitte ist, einen Kaufmann zu heiraten, aber Morten gehört eben zu dem anderen Teile von angesehenen Herren, den Gelehrten. Er ist nicht reich, was wohl für Dich und Mama gewichtig ist, aber das muß ich Dir sagen, lieber Papa, so jung ich bin, aber das wird das Leben Manchen gelehrt haben, daß Reichtum allein nicht immer jeden glücklich macht. Mit tausend Küssen verbleibe ich
Deine gehorsame Tochter
Antonie
.
PS. Der Ring ist niedriges Gold und ziemlich schmal, wie ich sehe.«
*
»Meine liebe Tony!
Dein Schreiben ist mir richtig geworden. Auf seinen Gehalt eingehend teile ich Dir mit, daß ich pflichtgemäß nicht ermangelt habe, Herrn Gr. über Deine Anschauung der Dinge in geziemender Form zu unterrichten; das Resultat jedoch war {160} derartig, daß es mich aufrichtig erschüttert hat. Du bist ein erwachsenes Mädchen und befindest Dich in einer so ernsten Lebenslage, daß ich nicht anstehen darf, Dir die Folgen namhaft zu machen, die ein leichtfertiger Schritt Deinerseits nach sich ziehen kann. Herr Gr. nämlich brach bei meinen Worten in Verzweiflung aus, indem er rief, so sehr liebe er Dich und so wenig könne er Deinen Verlust verschmerzen, daß er willens sei, sich das Leben zu nehmen, wenn Du auf Deinem Entschlusse bestündest. Da ich das, was Du mir von einer anderweitigen Neigung schreibst, nicht ernst nehmen kann, so bitte ich Dich, Deine Erregung über den zugesandten Ring zu bemeistern und Alles noch einmal bei Dir selbst mit Ernst zu erwägen. Meiner christlichen Überzeugung nach, liebe Tochter, ist es des Menschen Pflicht, die Gefühle eines Anderen zu achten, und wir wissen nicht, ob Du nicht einst würdest von einem höchsten Richter dafür haftbar gemacht werden, daß der Mann, dessen Gefühle Du hartnäckig und kalt verschmähtest, sich gegen sein eigenes Leben versündigte. Das Eine aber, welches ich Dir mündlich schon oft zu verstehen gegeben, möchte ich Dir ins Gedächtnis zurückrufen und freue ich mich, Gelegenheit zu haben, es Dir schriftlich zu wiederholen. Denn obgleich die mündliche Rede lebendiger und unmittelbarer wirken mag, so hat doch das geschriebene Wort den Vorzug, daß es mit Muße gewählt und gesetzt werden konnte, daß es feststeht und in dieser vom Schreibenden wohl erwogenen und berechneten Form und Stellung wieder und wieder gelesen werden und gleichmäßig wirken kann. – Wir sind, meine liebe Tochter, nicht
dafür
geboren, was wir mit kurzsichtigen Augen für unser eigenes, kleines, persönliches Glück halten, denn wir sind nicht lose, unabhängige und für sich bestehende Einzelwesen, sondern wie Glieder in einer Kette, und wir wären, so wie wir sind, nicht denkbar ohne die Reihe derjenigen, die uns vorangingen und uns die Wege wiesen, indem sie ihrerseits mit {161} Strenge und ohne nach Rechts oder Links zu blicken, einer erprobten und ehrwürdigen Überlieferung folgten. Dein Weg, wie mich dünkt, liegt seit längeren Wochen klar und scharf abgegrenzt vor Dir, und Du müßtest nicht meine Tochter sein, nicht die Enkelin Deines in Gott ruhenden Großvaters und überhaupt nicht ein würdig Glied unserer Familie, wenn Du ernstlich im Sinne hättest, Du allein, mit Trotz und Flattersinn Deine eignen, unordentlichen Pfade zu gehen. Dies, meine liebe Antonie, bitte ich Dich, in Deinem Herzen zu bewegen. –
Deine Mutter, Thomas, Christian, Clara und Klothhilde, (welch letztere mehrere Wochen bei ihrem Vater auf Ungnade verlebt hat,) auch Mamsell Jungmann grüßen Dich von ganzem Herzen; wir freuen uns Alle, Dich bald wieder in unsere Arme schließen zu können.
In treuer Liebe
Dein Vater.
«
11.
Es regnete in Strömen. Himmel, Erde und Wasser verschwammen ineinander, während der Stoßwind in den Regen fuhr und ihn gegen die Fensterscheiben trieb, daß nicht Tropfen, sondern Bäche daran hinunterflossen und sie undurchsichtig machten. Klagende und verzweifelte Stimmen redeten in den Ofenröhren …
Als Morten Schwarzkopf bald nach dem Mittagessen mit seiner Pfeife vor die Veranda trat, um nachzusehen, wie es mit dem Himmel bestellt sei, stand ein Herr in langem, engem, gelbkarriertem Ülster und grauem Hute vor ihm; eine geschlossene Droschke, deren Verdeck vor Nässe glänzte und deren Räder mit Kot besprengt waren, hielt
Weitere Kostenlose Bücher