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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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wir haben mit dem zweiten Frühstück gewartet.«
    Die Konsulin, Christian, Klothhilde, Clara und Ida Jungmann standen zur Begrüßung droben auf dem Treppenabsatz versammelt …
    *
    {172} Tony schlief fest und gut die erste Nacht in der Mengstraße, und sie stieg am nächsten Morgen, den 22. September, erfrischt und ruhigen Sinnes ins Frühstückszimmer hinunter. Es war noch ganz früh, kaum sieben Uhr. Nur Mamsell Jungmann war schon anwesend und bereitete den Morgenkaffee.
    »Ei, ei, Tonychen, mein Kindchen«, sagte sie und sah sich mit kleinen, verschlafenen braunen Augen um; »schon so zeitig?«
    Tony setzte sich an den Sekretär, dessen Deckel zurückgeschoben war, faltete die Hände hinter dem Kopf und blickte eine Weile auf das vor Nässe schwarz glänzende Pflaster des Hofes und den vergilbten und feuchten Garten hinaus. Dann fing sie an, neugierig unter den Visitkarten und Briefschaften auf dem Sekretär zu kramen …
    Dicht beim Tintenfaß lag das wohlbekannte große Schreibheft mit gepreßtem Umschlag, goldenem Schnitt und verschiedenartigem Papier. Es mußte noch gestern Abend gebraucht worden sein, und ein Wunder nur, daß Papa es nicht wie gewöhnlich in der Ledermappe und in der besonderen Schublade dort hinten verschlossen hatte.
    Sie nahm es, blätterte darin, geriet ins Lesen und vertiefte sich. Was sie las, waren meistens einfache und ihr vertraute Dinge; aber jeder der Schreibenden hatte von seinem Vorgänger eine ohne Übertreibung feierliche Vortragsweise übernommen, einen instinktiv und ungewollt angedeuteten Chronikenstil, aus dem der diskrete und darum desto würdevollere Respekt einer Familie vor sich selbst, vor Überlieferung und Historie sprach. Für Tony war das nichts Neues; sie hatte sich manches Mal mit diesen Blättern beschäftigen dürfen. Aber noch niemals hatte ihr Inhalt einen Eindruck auf sie gemacht, wie diesen Morgen. Die ehrerbietige Bedeutsamkeit, mit der hier auch die bescheidensten Thatsachen behandelt waren, die der Familiengeschichte angehörten, stieg ihr zu Kopf … Sie stützte die Ellenbogen auf und las mit wachsender Hingebung, mit Stolz und Ernst.
    {173} Auch in ihrer eignen kleinen Vergangenheit fehlte kein Punkt. Ihre Geburt, ihre Kinderkrankheiten, ihr erster Schulgang, ihr Eintritt in Mlle. Weichbrodts Pensionat, ihre Konfirmation … Alles war in der kleinen, fließenden Kaufmannsschrift des Konsuls sorgfältig und mit einer fast religiösen Achtung vor Thatsachen überhaupt verzeichnet: Denn war nicht der geringsten Eine Gottes Wille und Werk, der die Geschicke der Familie wunderbar gelenkt? … Was würde hier hinter ihrem Namen, den sie von ihrer Großmutter Antoinette empfangen hatte, in Zukunft noch zu berichten sein? Und Alles würde von späteren Familiengliedern mit der nämlichen Pietät gelesen werden, mit der jetzt sie die früheren Begebnisse verfolgte.
    Sie lehnte sich aufatmend zurück, und ihr Herz pochte feierlich. Ehrfurcht vor sich selbst erfüllte sie, und das Gefühl persönlicher Wichtigkeit, das ihr vertraut war, durchrieselte sie, verstärkt durch den Geist, den sie soeben hatte auf sich wirken lassen, wie ein Schauer. »Wie ein Glied in einer Kette« hatte Papa geschrieben … ja, ja! Gerade als Glied dieser Kette war sie von hoher und verantwortungsvoller Bedeutung, – berufen, mit That und Entschluß an der Geschichte ihrer Familie mitzuarbeiten!
    Sie blätterte zurück bis ans Ende des großen Heftes, wo auf einem rauhen Foliobogen die ganze Genealogie der Buddenbrooks mit Klammern und Rubriken in übersichtlichen Daten von des Konsuls Hand resümiert worden war: Von der Eheschließung des frühesten Stammhalters mit der Predigerstochter Brigitta Schuren bis zu der Heirat des Konsuls Johann Buddenbrook mit Elisabeth Kröger, im Jahre 1825. Aus dieser Ehe, so hieß es, entsprossen vier Kinder … worauf mit den Geburtsjahren und –Tagen, die Taufnamen unter einander aufgeführt waren; hinter demjenigen des älteren Sohnes aber war bereits verzeichnet, daß er Ostern 1842 in das väterliche Geschäft als Lehrling eingetreten sei.
    {174} Tony blickte lange Zeit auf ihren Namen und auf den freien Raum dahinter. Und dann, plötzlich, mit einem Ruck, mit einem nervösen und eifrigen Mienenspiel – sie schluckte hinunter, und ihre Lippen bewegten sich einen Augenblick ganz schnell an einander – ergriff sie die Feder, tauchte sie nicht, sondern stieß sie in das Tintenfaß und schrieb mit gekrümmtem Zeigefinger und tief

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