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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Gottesdunner … Die Leute werfen mit Ziegelsteinen! Ick heww da nu 'naug von …«
    In diesem Augenblick wuchs draußen der Lärm von Neuem {204} an, aber ohne sich wieder zu der anfänglichen stürmischen Höhe zu erheben, tönte er nun ruhig und ununterbrochen fort, ein geduldiges, singendes und beinahe vergnügt klingendes Gesumme, in welchem man hie und da Pfiffe sowie einzelne Ausrufe wie »Prinzip!« und »Bürgerrecht!« unterschied … Die Bürgerschaft lauschte mit Andacht.
    »Meine Herren«, sprach nach einer Weile der Wortführer Herr Doktor Langhals mit gedämpfter Stimme über die Versammlung hin. »Ich hoffe, mich mit Ihnen im Einverständnis zu befinden, wenn ich nunmehr die Sitzung eröffne …?«
    Das war ein unmaßgeblicher Vorschlag, dem aber weit und breit nicht die geringste Unterstützung zu Teil wurde.
    »Da bün ick nich für tau haben«, sagte Jemand mit einer biederen Entschlossenheit, die keinen Einwand gestattete. Es war ein bäuerlicher Mann Namens Pfahl, aus dem Ritzerauer Landbezirk, der Deputierte für das Dorf Klein-Schretstaken. Niemand erinnerte sich, seine Stimme schon einmal in den Verhandlungen vernommen zu haben; allein in der gegenwärtigen Lage fiel die Meinung auch des schlichtesten Kopfes schwer ins Gewicht … Unerschrocken und mit sicherem politischen Instinkt hatte Herr Pfahl der Anschauung der gesamten Bürgerschaft Ausdruck verliehen.
    »Gott soll uns bewahren!« sagte Herr Benthien entrüstet. »Da oben auf den Sitzen kann man von der Straße aus gesehen werden! Die Leute werfen mit Ziegelsteinen! Nee, Gottesdunner, ick heww da nu 'naug von …«
    »Daß auch die verfluchte Thür so eng ist!« stieß der Weinhändler Köppen verzweifelt hervor. »Wenn wir hinaus wollen, drücken wir uns ja wol dot … drücken wir uns ja wol!«
    »Unerhörte Infamje«, sprach dumpf Herr Stuht.
    »Meine Herren!« begann der Wortführer eindringlich aufs Neue. »Ich bitte Sie, doch zu erwägen … Ich habe binnen drei Tagen eine Ausfertigung des heute zu führenden Protokolles {205} dem regierenden Bürgermeister zuzustellen … Überdies erwartet die Stadt die Veröffentlichung durch den Druck … Ich möchte jedenfalls zur Abstimmung darüber schreiten, ob die Sitzung eröffnet werden soll …«
    Aber abgesehen von einigen wenigen Bürgern, die den Wortführer unterstützten, fand sich Niemand, der bereit gewesen wäre, zur Tagesordnung überzugehen. Eine Abstimmung hätte sich als zwecklos erwiesen. Man durfte das Volk nicht reizen. Niemand wußte, was es wollte. Man durfte es nicht durch einen Beschluß nach irgend einer Richtung hin vor den Kopf stoßen. Man mußte abwarten und sich nicht regen. Von der Marienkirche schlug es halb fünf …
    Man bestärkte einander in dem Entschlusse, geduldig auszuharren. Man begann, sich an das Geräusch zu gewöhnen, das dort draußen anschwoll, abnahm, pausierte und wieder einsetzte. Man fing an, ruhiger zu werden, sich's bequemer zu machen, sich auf den unteren Sitzreihen und den Stühlen niederzulassen … Die Betriebsamkeit all dieser tüchtigen Bürger begann sich zu regen … Man wagte hie und da, über Geschäfte zu sprechen, hie und da sogar ein Geschäft zu machen … Die Makler näherten sich den Großkaufleuten … Die eingeschlossenen Herren plauderten mit einander wie Leute, die während eines heftigen Gewitters beisammen sitzen, von anderen Dingen reden und manchmal mit ernsten und respektvollen Gesichtern auf den Donner horchen. Es wurde fünf Uhr, halb sechs Uhr, und die Dämmerung sank. Dann und wann seufzte Jemand darüber, daß seine Frau mit dem Kaffee warte, worauf Herr Benthien sich erlaubte, die Dachluke in Erinnerung zu bringen. Aber die Meisten dachten darüber wie Herr Stuht, der mit einem fatalistischen Kopfschütteln erklärte: »Ich bin ja doch zu dick dazu!«
    Johann Buddenbrook hatte sich, eingedenk der Mahnung der Konsulin, neben seinem Schwiegervater gehalten, und er betrachtete ihn etwas besorgt, als er ihn fragte:
    {206} »Dies kleine Abenteuer geht Ihnen hoffentlich nicht nahe, Vater?«
    Unter dem schneeweißen Toupé waren auf Lebrecht Krögers Stirn zwei bläuliche Adern in besorgniserregender Weise geschwollen, und während die eine seiner aristokratischen Greisenhände mit den opalisierenden Knöpfen an seiner Weste spielte, zitterte die andere, mit einem großen Brillanten geschmückt, auf seinen Knieen.
    »Papperlapapp, Buddenbrook!« sagte er mit sonderbarer Müdigkeit. »Ich bin

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