Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
Wichtiges auf der Tagesordnung, es kommt darauf an …«
    »Ach, ich ängstige mich, ich ängstige mich!« wiederholte die Konsulin, indem sie mit ratlosen Seitenblicken sich im Zimmer auf und nieder bewegte.

3.
    Konsul Buddenbrook durchschritt eilig sein weitläufiges Grundstück. Als er in die Bäckergrube hinaustrat, vernahm er hinter sich Schritte und erblickte den Makler Gosch, welcher {197} malerisch in seinen langen Mantel gehüllt, gleichfalls die schräge Straße hinauf zur Sitzung strebte. Während er mit der einen seiner langen und mageren Hände den Jesuitenhut lüftete, und mit der anderen eine glatte und höfische Gebärde der Demut vollführte, sprach er mit gepreßter und verbissener Stimme:
    »Herr Konsul … ich grüße Sie!«
    Dieser Makler Siegismund Gosch, ein Junggeselle von etwa vierzig Jahren, war trotz seines Gebarens der ehrlichste und gutmütigste Mensch von der Welt; nur war er ein Schöngeist, ein origineller Kopf. Sein glattrasiertes Gesicht zeichnete sich aus durch eine gebogene Nase, ein spitz hervorspringendes Kinn, scharfe Züge und einen breiten, abwärts gezogenen Mund, dessen schmale Lippen er in verschlossener und bösartiger Weise zusammenpreßte. Es war sein Bestreben – und es gelang ihm nicht übel – ein wildes, schönes und teuflisches Intrigantenhaupt zur Schau zu stellen, eine böse, hämische, interessante und furchtgebietende Charakterfigur zwischen Mephistopheles und Napoleon … Sein ergrautes Haar war tief und düster in die Stirn gestrichen. Er bedauerte aufrichtig, nicht bucklig zu sein. – Er war eine fremdartige und liebenswürdige Erscheinung unter den Bewohnern der alten Handelsstadt. Er gehörte zu ihnen, weil er in aller Bürgerlichkeit ein kleines, solides und in seiner Bescheidenheit geachtetes Vermittlungsgeschäft betrieb; in seinem engen, dunklen Comptoir aber stand ein großer Bücherschrank, der mit Dichtwerken in allen Sprachen gefüllt war, und es ging das Gerücht, daß er seit seinem zwanzigsten Jahre an einer Übersetzung von Lope de Vega's sämtlichen Dramen arbeite … Einmal jedoch hatte er bei einer Liebhaberaufführung von Schillers Don Carlos den Domingo gespielt. Dies war der Höhepunkt seines Lebens. – Niemals war ein unedles Wort über seine Lippen gekommen, und selbst in geschäftlichen Gesprächen brachte er die übli {198} chen Redewendungen nur zwischen den Zähnen und mit einem Mienenspiele hervor, als wollte er sagen: »Schurke, ha! Im Grab verfluch' ich deine Ahnen!« Er war, in mancher Beziehung, der Erbe und Nachfolger des seligen Jean Jacques Hoffstede; nur daß sein Wesen düsterer und pathetischer war und daß ihm nichts von der scherzhaften Heiterkeit eignete, die der Freund des älteren Johann Buddenbrook aus dem vorigen Jahrhundert herübergerettet hatte. – Eines Tages verlor er an der Börse mit einem Schlage sechs und einen halben Courant-Thaler an zwei oder drei Papieren, die er spekulativer Weise gekauft hatte. Da riß sein dramatisches Empfinden ihn mit sich fort, und er gab eine Vorstellung. Er ließ sich auf einer Bank nieder in einer Haltung, als habe er die Schlacht bei Waterloo verloren, preßte eine geballte Faust gegen die Stirn und wiederholte mehrere Male mit einem gotteslästerlichen Augenaufschlag: »Ha, verflucht!« Da die kleinen, ruhigen, sicheren Gewinnste, die er beim Verkaufe dieses oder jenes Grundstückes einstrich, ihn im Grunde langweilten, so war dieser Verlust, dieser tragische Schlag, mit dem der Himmel ihn, den Intriganten, getroffen, ein Genuß, ein Glück für ihn, an dem er wochenlang zehrte. Auf die Anrede: »Ich höre, Sie haben Unglück gehabt, Herr Gosch? Das thut mir leid …« pflegte er zu antworten: »Oh, mein werter Freund! Uomo non educato dal dolore riman sempre bambino!« Begreiflicher Weise verstand das Niemand. War es von Lope de Vega? Fest stand, daß dieser Siegismund Gosch ein gelehrter und merkwürdiger Mensch war.
    »Welche Zeiten, in denen wir leben!« sagte er zu Konsul Buddenbrook, während er, in gebückter Haltung auf seinen Stock gestützt, neben ihm die Straße hinaufschritt. »Zeiten des Sturmes und der Bewegung!«
    »Da haben Sie recht«, erwiderte der Konsul. Die Zeiten seien bewegt. Man dürfe auf die heutige Sitzung gespannt sein. Das ständische Prinzip …
    {199} »Nein, hören Sie!« fuhr Herr Gosch zu sprechen fort. »Ich bin den ganzen Tag unterwegs gewesen, ich habe den Pöbel beobachtet. Es waren herrliche Bursche darunter, das Auge

Weitere Kostenlose Bücher