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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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schwarzen Mänteln auf. Ein jeder kniete in Schützenstellung nieder und hob den schwarzen Mantelsaum, um sein Gesicht vor den Zuschauern zu verbergen. Jemand klatschte. Zu beiden Seiten der Bühne erschien je eine Gestalt auf hohen Kothurnen, mit langem weißen Chlamys und griechischer Maske. Die beiden schritten langsam aufeinander zu und verharrten, ehe sie sich ganz erreicht hatten. Dem einen hing an rosenumrankter Schlaufe ein Beil an der Seite, und ich verstand, das sollte Raskolnikow sein. Wobei man es auch ohne Beil hätte verstehen können, denn auf seiner Höhe hing das Schild mit dem Namen. Der Schauspieler, der vor dem Schild »Marmeladow« Aufstellung genommen hatte, hob langsam die Hand und begann in hohem, singendem Tonfall:
    »Also, ich bin Marmeladow. Mal eben
ganz im Vertrauen: Fi-ni-to. Juchhei!
Ich hab so manches gesehen im Leben,
aber ein Lichtblick war niemals dabei.
    Falls Euch nicht stört, daß ich mich offenbare,
und Euch der Mief armer Leute nicht schreckt:
Wollt Ihr ein Schlückchen vom Branntwein?« –
»Bewahre!«
    Die Antwort des mit dem Beil bewaffneten Mimen erfolgte mit ebenso singender Stimme, allerdings im Baß; dabei hob er die Hand und streckte sie Marmeladow abwehrend entgegen, welcher sich hastig etwas ins Glas goß und durch das Loch in der Maske kippte, worauf er fortfuhr:
    – »Dann eben nicht. Sehr zum Wohl! Mit Respekt:
Ihr seid ja auch nicht ganz koscher, vermut ich.
Zugeknöpft scheint Euer lächelnder Mund,
Blaß ist die Stirn, und die Hände sind blutig.
Sei's drum! Ich sah jedenfalls keinen Grund,
in meinem Innern die gähnende  Leere ,
in meinem Kopf das gefräßige Loch
hinter Blasiertheit und …« – »Habe die Ehre!«
– »… Schliff zu verstecken. He, wartet doch noch!«
    Sherbunow stieß mich mit dem Ellbogen in die Seite. »Wollen wir?« fragte er leise.
    »Es ist noch zu früh«, erwiderte ich flüsternd. »Sehen wir weiter.«
    Sherbunow nickte ehrerbietig. Das Geschehen auf der Bühne ging seinen Gang, Marmeladow sprach:
    »Hört, ich geb zu, ohne Maske ist's schlimmer!
Jedes Erwachen: ein Blutsturz beinah.
Wie mit dem Beil übern Kopf ist das immer!
Könnt Ihr mir folgen, mein Lieber?« – »Oh, ja.«
– »Drum ist das Tor meiner Seele vergittert.
Drinnen ist's finster und klamm wie im Sarg.
Und diese Leichen im Keller … Ihr zittert?«
– »Bitte! Was wolln Sie? Ich finde es arg!«
– »Ich? Was ich will? Soll ich's wirklich schon sagen?
Nicht vielleicht vorher ein Gläschen Likör?«
– »Gnädiger Herr, mich empört Ihr Betragen!
Welch Penetranz! Wie der letzte Frisör!
Also, adieu.« – »Laßt mich bitte gewähren!
Einen Moment noch, mein Freund! Alldieweil …«
– »Würden Sie mir jetzt gefälligst erklären,
was Ihr Begehr ist?« – »Verkauft mir das Beil!«
    Unterdessen hatte ich mich im Saal umgeschaut. An den runden Tischen saßen sie zu dreien oder vieren; das Publikum war sehr gemischt, doch waren, wie es in der Geschichte der Menschheit alleweil zu sein pflegt, schweinsgesichtige Spekulanten und teuer ausstaffierte Huren in der Überzahl. An einem Tisch mit Brjussow saß Alexej Tolstoi, der, seit ich ihn zum letztenmal gesehen hatte, deutlich dicker geworden war; anstelle der Krawatte trug er eine große Schleife. Man konnte meinen, das an ihm aufgeschwemmte Fett wäre zuvor aus dem nun spindeldürren Brjussow abgesogen worden. Sie ergaben ein gespenstisches Paar.
    Als ich den Blick weiterwandern ließ, bemerkte ich einen sonderbaren Menschen in mehrfach gegürteter, schwarzer Uniformbluse und mit aufgezwirbeltem Schnurrbart. Er saß allein an seinem Tisch und hatte anstelle des Kupferkessels eine Flasche Sekt vor sich stehen. Mir schien er irgendein hohes bolschewistisches Tier zu sein; ich weiß nicht, was an seinem energischen Gesicht, seiner gelassenen Miene so ungewöhnlich war, daß ich die Augen für einige Sekunden nicht von ihm losreißen konnte. Erst als sich unsere Blicke trafen, drehte ich mich rasch zur Bühne, wo der sinnlose Wortwechsel immer weiterging:
    »Was? Wozu das?« – »Ach, ich tat's gern besitzen.
Symbolisiert es doch auch unser Sein.
Ihr könnt Euch notfalls ein neues stibitzen.
Stehlen und Hehlen vertragen sich fein!«
– »Oh, welche Anspielung! Himmel, ich ahne!
Ob er von hinter der Tür … Oder gar …«
– »Ach, Rodion, Ihr seid mir ein Titane!
Schafskopf mit Beil. Dabei ist mir das klar.
Jugend geht immer die kürzeren Pfade,
Sucht im Vergänglichen sich ihr Pläsier,
Lachen und

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