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Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
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der Nähe. Der Klang, den der Herr seinem Instrument entlockte, war nicht von dieser Welt, betörend und wehmütig; der Mann schien irgendeine simple Melodie zu spielen, doch auf sie kam es nicht an – alles hing am Timbre, an den Modulationen des einzelnen, langsam ersterbenden Tones, der einem direkt zu Herzen ging.
    Die Portiere am Eingang bewegte sich, und der Mann im roten Hemd schob sich herein. Er schnipste mit den Fingern ins Dunkle und deutete auf unseren Tisch, dann drehte er sich zu uns herum, tat eine knappe, förmliche Verbeugung und verschwand wieder hinter dem Vorhang. Sofort tauchte von irgendwoher ein Kellner auf, mit Tablett in der einen und Kupferteekessel in der anderen Hand (solche Kessel standen auch auf den anderen Tischen). Auf dem Tablett waren ein Teller Piroggen, drei Teegläser und eine winzige Trillerpfeife. Der Kellner baute die Gläser vor uns auf, goß aus dem Kessel ein und verharrte erwartungsvoll. Ich reichte ihm eine Banknote, die ich aufs Geratewohl aus dem Köfferchen gezogen hatte – ich glaube, es war ein Zehndollarschein. Wozu die Pfeife auf dem Tablett lag, war mir zunächst unklar, doch da ertönte von einem der Nachbartische ein leiser, melodischer Pfiff, und der Kellner eilte ihm entgegen.
    Sherbunow nippte aus seinem Glas und brummte unzufrieden vor sich hin. Ich tat einen Schluck aus meinem. Es war Chansha, schlechter chinesischer Hirsebranntwein. Ich nahm eine Pirogge und fing an zu kauen, obwohl ich keinerlei Geschmack spürte – das Kokain, das meinen Gaumen narkotisiert hatte, wirkte noch.
    »Was ist in den Piroggen drin?« fragte Barbolin mit seiner sanften Stimme. »Soll vorkommen, daß Leute von hier verschwinden. Zuviel Gefräßigkeit könnte einem leid tun.«
    »Ich hab schon probiert«, sagte Sherbunow ungerührt. »Schmeckt wie Rindfleisch.«
    Den Gedanken weiterzuspinnen fehlte mir die Kraft; ich holte das Döschen hervor, und Barbolin übernahm es, drei gerechte Portionen in die Gläser zu verteilen.
    Unterdessen war der Mann im Frack mit seinem Spiel zu Ende gekommen, flink und elegant zog er Strumpf und Schuh an, stand auf, verbeugte sich, ergriff seinen Schemel und verließ unter spärlichem Applaus das Podium. An einem Tisch gleich neben der Bühne erhob sich ein würdiger graubärtiger Herr, um dessen Hals, wie um eine Bißwunde zu verbergen, ein grauer Schal geschlungen war. Verblüfft erkannte ich in ihm den gealterten, abgemagerten Dichter Waleri Brjussow. Er stieg auf die Bühne und wandte sich an den Saal:
    »Genossen! Zwar leben wir heute in einer visuellen Epoche, wo die auf Papier abgesetzte Textzeile verdrängt wird von einer halben Bildfolge, um nicht zu sagen, hä …« – hier rollte er mit den Augen, machte eine Pause, und es war klar, daß man jetzt auf einen seiner idiotischen Kalauer gefaßt sein mußte – »um nicht zu sagen, von den Folgen der Halbbildung, hä …, doch gibt die Tradition nicht klein bei und sucht sich neue Formen. Dostojewskis unsterbliche Helden inspirieren die jungen Heißsporne nach wie vor, gleich, ob mit oder ohne Hackebeil. Was Sie heute abend sehen werden, darf ich als markantes Beispiel für die Kunst des egoumbilizistischen Postrealismus bezeichnen. Zur Aufführung kommt eine kleine Tragödie, in einem, hä … in einem Schuß, hä, geschrieben von Kammerdichter Johann Pawluchin, der höchstselbst sein Werk dem tragödischen Fach zugeordnet sehen möchte. Erleben Sie also nun die kleine Tragödie ›Raskolnikow und Marmeladow‹. Bitteschön.«
    »Bitteschön«, echote Sherbunow, und wir tranken.
    Brjussow ging ab und kehrte zu seinem Tisch zurück. Zwei Männer in Militäruniform trugen eine riesige vergoldete Lyra mit Ständer aus den Kulissen heraus auf die Bühne, dazu einen Schemel. Anschließend brachten sie einen Tisch, stellten eine bauchige Likörflasche nebst zwei Gläsern darauf ab und hängten am Bühnenhintergrund zwei Pappschilder mit den Namen »Raskolnikow« und »Marmeladow« auf (die Endungen wieder in alter Schreibweise, eine noch dazu falsch, und ich entschied sofort, daß dies absichtlich so dastand und eine symbolische Bedeutung hatte), dazwischen kam noch ein Schild mit der rätselhaften, auf ein blaues Fünfeck gemalten Inschrift ЙХВЙ . Nach getaner Arbeit verschwanden die beiden Männer. Eine Frau im langen Chiton trat aus den Kulissen, setzte sich an die Lyra und begann bedächtig die Saiten zu zupfen. So vergingen einige Minuten.
    Dann traten vier Männer in langen,

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