Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Buddhas kleiner Finger

Buddhas kleiner Finger

Titel: Buddhas kleiner Finger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
Linie durchzusetzen, stimmt's?«
    »Stimmt«, sagte Sherbunow.
    »Na also«, sagte ich, »darum gehst du mit Barbolin jetzt hinter die Kulissen. Und ich geh auf die Bühne, die Linie durchsetzen. Wenn ich damit fertig bin, geb ich das Signal, und ihr kommt raus. Wir führen denen jetzt mal die Musik der Revolution vor.«
    Sherbunow klopfte mit dem Finger an sein Glas.
    »Nein, Sherbunow«, sagte ich hart, »du kannst sonst nicht arbeiten.«
    In Sherbunows Blick flammte etwas auf, das wie Kränkung aussah.
    »Wie kommst du darauf?« flüsterte er. »Traust du mir nicht? Ich … ich tät' mein Leben geben für die Revolution!«
    »Ich weiß, Genosse«, sagte ich, »aber Kokain gibt's hinterher. Vorwärts.«
    Die Matrosen standen auf und gingen zur Bühne – mit festen, ausladenden Schritten, so als hätten sie nicht dieses Parkett, sondern das schwankende Deck eines in Sturm geratenen Panzerkreuzers unter den Füßen; in diesem Moment empfand ich für sie beinahe so etwas wie Sympathie. Über das seitliche Bühnentreppchen verschwanden sie hinter den Kulissen. Ich kippte mir den Rest Chansha mit Kokain in den Rachen, stand gleichfalls auf und ging zu dem Tisch, an dem Tolstoi und Brjussow saßen. Das erregte Aufsehen. Herrschaften und Genossen! dachte ich, während ich gemessenen Schrittes den merkwürdig unruhig gewordenen Saal durchquerte, auch ich hatte heute die Ehre, über eine gewisse Leiche zu gehen, doch es wird euch nicht gelingen, mir mit ihren eingebildeten Händen die Luft abzudrücken. Ach, soll doch der Teufel diesen ewigen Dostojewski holen, diese unendliche Heimsuchung des russischen Menschen! Und den russischen Menschen gleich mit, der nichts anderes um sich wähnt als immer nur Dostojewski!
    »Guten Abend, Herr Brjussow! Gönnen Sie sich ein bißchen Erholung?«
    Brjussow zuckte zusammen und starrte einige Sekunden, ohne mich gleich zu erkennen. Dann erschien auf seinem eingefallenen Gesicht ein ungläubiges Lächeln.
    »Pjotr«, fragte er, »sind Sie das? Freut mich von Herzen, Sie zu sehen. Setzen Sie sich doch ein Momentchen zu uns.«
    Ich nahm Platz. Etwas verlegen begrüßte ich Tolstoi – wir kannten uns kaum, obwohl wir uns in der Redaktion des »Apollo« öfters begegnet waren. Tolstoi war völlig betrunken.
    »Wie geht's?« fragte Brjussow. »Haben Sie etwas Neues geschrieben?«
    »Keine Zeit für so was, Herr Brjussow.«
    »Ja«, sagte Brjussow gedehnt, während seine Augen über meine Lederjacke mit der Mauser huschten, »das ist wohl wahr. Mich hat es ja auch … Aber ich wußte gar nicht, daß Sie zu uns gehören, Pjotr. Ihre Gedichte habe ich immer sehr geschätzt, besonders Ihr erstes Bändchen, die ›Verse des Hauptmann Lebjadkin‹, na, und natürlich die ›Gesänge vom Königreich Ich‹. Aber man konnte ja nicht ahnen, daß … Sie hatten es ja immer so mit Pferden und Kaisern und diesem ganzen China.«
    » Conspiration , Herr Brjussow«, sagte ich. »Das Wort klingt vielleicht ein bißchen übertrieben, nur …«
    »Verstehe«, sagte Brjussow, »verstehe vollkommen. Aber so etwas habe ich immer geahnt, das können Sie mir glauben. Sie haben sich jedenfalls verändert, Pjotr. So ungestüm … Diese blitzenden Augen … Haben Sie übrigens schon die ›Zwölf‹ von Block gelesen?«
    »Hab's mir angeschaut.«
    »Und, was meinen Sie?«
    »Die Symbolik des Finales leuchtet mir nicht ganz ein«, sagte ich, »wieso muß ausgerechnet Christus der rotgardistischen Patrouille vorangehen? Will Block die Revolution etwa ans Kreuz nageln?«
    »Jaja«, sagte Brjussow hastig, »darüber haben Aljoscha und ich auch gerade gesprochen.«
    Als Tolstoi seinen Namen hörte, öffnete er die Augen und ergriff sein Glas, das leer war. Er tastete auf dem Tisch nach der kleinen Pfeife und setzte sie an die Lippen, doch es kam kein Pfiff, statt dessen fiel ihm der Kopf wieder auf die Brust.
    »Dem Vernehmen nach«, sagte ich, »hat er den Schluß schon geändert. Jetzt läuft ein Matrose vornweg.«
    Brjussow dachte einen Augenblick nach, dann sprühten seine Augen.
    »Ja«, sagte er, »das ist echter. Das ist präziser. Und Christus geht hinten! Er ist unsichtbar und geht am Ende, schleift sein schiefes Kreuz durch die Schneewehen!«
    »Ja«, sagte ich. »Und er geht noch dazu in die falsche Richtung.«
    »Meinen Sie?«
    »Da bin ich mir sicher«, sagte ich und dachte daran, daß Sherbunow und Barbolin hinter dem Vorhang bestimmt schon eingeschlafen waren. »Herr Brjussow, ich hab eine Bitte an Sie.

Weitere Kostenlose Bücher