Buerger, ohne Arbeit
aufschwemmt: |354| Die »reale« Produktivität, der durch sie definierte Verteilungsspielraum sind bei wieder »eingerechneter« Arbeitsersparnis
erheblich geringer als »bei den üblichen Messmethoden«. 419
2. Die üblichen Verdächtigen applaudieren dieser Beweisführung schon auf dem Buchrücken: Vorstandsvorsitzende großer Unternehmen,
Unternehmensberater, Brüder im Geiste wie Hans-Olaf Henkel. Sie alle beeilen sich, einer ebenso simplen wie abgeschmackten
Doktrin zum Ruf einer objektiven wissenschaftlichen Lehrmeinung zu verhelfen. Das geistige Fixum derselben ist ärmlich genug:
Es sind die Löhne, von denen alles andere abhängt, Wachstum, Beschäftigung, Wettbewerbschancen. Dem kapitalistischen Wirtschaftssystem
in distanzloser Rechtfertigung ergeben, rühmen sie dessen revolutionären Charakter, solange es ihren propagandistischen Bedürfnissen
entspricht, und verleugnen ihn, sobald er ihre Absichten durchkreuzt. Kapitalismus bedeutet rastlose Umwälzung von Technik,
Technologie und Arbeitsorganisation, bedeutet Wettbewerb mit Zähnen, permanenten Kampf ums Überleben, um die rationellste
Arbeitsweise, um Produktion zu minimalen Kosten, Ersetzung lebendiger durch vergegenständlichte Arbeit, durch Maschinen und
wissenschaftlich disziplinierte Naturprozesse, bedeutet fortgesetzte Reduktion notwendiger, das heißt bezahlter menschlicher
Arbeit zugunsten des Gewinns. Gerade weil Volkswirtschaften aus zahllosen Unternehmen bestehen, die miteinander konkurrieren,
ist die entgoltene Arbeit für jeden einzelnen Wettbewerber immer »zu teuer«, daher Objekt von Rationalisierung und Ersparnis,
ist Freisetzung lebendiger Arbeit Ausgangspunkt wie Ziel der ganzen Unternehmung. Das gilt in gesteigertem Maße für die globale
Ökonomie, diesen riesigen Verschiebebahnhof von Kapital und Arbeit; hier sind die Löhne, wie immer sie sich konkret gestalten
mögen, stets »hoch genug«, um das Kapital zu noch ertragreicheren Standorten abfließen zu lassen oder zu freisetzender Rationalisierung
anzustacheln. Lohn und Lohnhöhe |355| zum Apriori, zur unabhängigen Variablen von Theorien über die langfristige Entwicklung von Wachstum und Beschäftigung zu machen,
ist ein Verfahren, das besser zur Zunftordnung als zum modernen Kapitalismus paßt.
Das Vorsintflutliche der Argumentation reiht sich wieder nahtlos in den Zeitgeist ein, wenn man ihr Thema kennt. Zweck der
Kapitalakkumulation ist nicht, Arbeit als solche freizusetzen, gespart wird jene Arbeitszeit, die der Arbeiter benötigt, um
das sachliche Äquivalent seines Lohns zu produzieren, mit der Intention, diese frei gewordene Zeit als Mehrarbeitszeit für
das Unternehmen einzuspannen (§ 42.2). Genügt weniger Zeit, um dasselbe Betriebsergebnis oder sogar ein höheres zu erwirtschaften,
setzt das betreffende Unternehmen nicht automatisch (schon gar nicht freiwillig) die Arbeitszeit herab. Das Bestreben geht
dahin, die produktiver gewordene
workforce
so lange wie früher in Bewegung zu setzen, länger, wenn irgend möglich, um den Produktivitätsgewinn bis an den Horizont des
überhaupt Absetzbaren, Verwertbaren auszureizen, um, mit Sinns eigenen Worten, »den steigenden Kapitalstock von der gegebenen
Arbeitsbevölkerung bedienen zu lassen«, im selben Zeitmaß und zu unterproduktiven Löhnen.
Dagegen richtet sich der Kampf der Belegschaften, ihrer Organisationen. Sie streiten für die Aneignung von Teilen des Produktivitätsgewinns
entweder direkt, als Zeitersparnis, oder, mittelbar, als Erhöhung der Reallöhne. Je erfolgreicher sie die Auseinandersetzung
bestehen, desto mehr freigesetzte Zeit gehört dem »Leben«. Gesamtgesellschaftlich und geschichtlich betrachtet, ist die Senkung
des notwendigen Arbeitsvolumens Zweck der Übung. Die der bloßen Existenzgewinnung schon abgetrotzten Zeiträume nachträglich
wieder in sie »hineinzurechnen«, zeigt, wo der Autor geistig steht.
Disposable time
, Zeit zur freien Verfügung der einzelnen, ist für ihn kein Wert an sich, nicht Reichtum in seiner erhabensten Gestalt, sondern
Verschwendung, die schleunigst aufgehoben werden muß durch Rückverwandlung der |356| potentiellen Mußezeit in Arbeitszeit; Einschluß der Freiheit ins »Reich der Notwendigkeit« – bis zum Ende aller Tage.
3. Vorrang und Prämisse, zurechtgerückt: die dem Kapitalismus immanente Produktivität und der Kampf um ihre soziale Aneignung.
Dieser Kampf reproduziert sich als Überlebenskampf
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