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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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sozialer und kultureller Standards,
     und zwar zivilisationstragender, in den Lohn. Wo bleiben da die Sanktionen des Marktes, wo der Wettstreit als Scharfrichter?
     Sinn beschönigt die Natur des Systems, das er vergöttert; Schumpeter hätte sie ihm erklären können: »In capitalist reality
     … it is not (price) competition which counts but the competition from the new commodity, the new technology, the new source
     of supply, the new type of organization.« 421
    5. Dieser Gedanke ist um so unabweisbarer, je mehr er sich auf Gesellschaften richtet, die ihren Reichtum und ihre Stellung
     in der Welt auf wissensbasierte Produktionsprozesse gründen. Hier entscheidet die Produktivität alles, liegt der komparative
     Vorteil ganz auf dem »Humankapital«, dessen Schöpferkraft wiederum in keinem Verhältnis zur individuellen Arbeitszeit steht.
     Hätte sich Sinn, statt Gemeinplätze aufzusuchen, eingehend damit befaßt, wäre ihm eine Arbeit aufgestoßen, die sich höchst
     sonderbar verhält, die GEISTIGE Arbeit, methodisches Entdecken und Erfinden. Sofern kooperativ und geschäftsmäßig organisiert,
     fügt sie sich widerspruchslos in die Produktion des Reichtums ein. Gleichzeitig widerspricht sie dieser Rolle, löst sie Arbeit
     aus der Produktion heraus, setzt ihre Schöpfungen an deren Stelle. Wo der Fertigungsprozeß unter ihre Vorherrschaft gerät,
     muß er in all seinen Stadien gehobensten Ansprüchen an Präzision und Qualifikation genügen, |359| Ansprüchen, die zu befriedigen es einer generationenumspannenden Bildungsgeschichte von Hand und Kopf bedarf. 422 – So voraussetzungsvoll und kostspielig wie die Produktion des menschlichen Vermögens, verwissenschaftlichte Produktionsprozesse
     industriell zu beherrschen, so kostbar ist dies Vermögen selbst. Hier und nirgendwo anders liegt Deutschlands Zukunft, und
     wer dem Land eine gedeihliche Entwicklung wünscht, muß ihm gleichzeitig eine anspruchsvolle Arbeitsbevölkerung wünschen, eine
     »Hochlohnpopulation«. Darüber spricht Sinn nicht, darüber schweigt er sich verbissen aus; er will nicht wissen, was er um
     seiner Seelenruhe nicht wissen darf.
    6. Die Beschäftigung mit Sinn, Henkel und Konsorten ist theoretisch unersprießlich, mehr Teil der Verdrängungsgeschichte als
     der Problemgeschichte. Immerzu gibt es noch mehr vom selben: »Es sind wirklich die Lohnkosten, die heute über die Wettbewerbsfähigkeit
     eines Landes entscheiden.« 423 Die Weisheit der Ökonomisten kennt nur dieses eine Thema und variiert es bis zur restlosen Erschöpfung. Variante 1: Mehr
     Arbeit zu derselben realen Lohnkost flüssig machen. Voraussetzungen: Hohes Angebot an Arbeitskräften, deregulierter Arbeitsmarkt,
     eingeschüchterte Belegschaften, schwache Gewerkschaften. Dann kann, wie in den USA, der Coup gelingen, das Arbeitsangebot
     bei stagnierenden Kompensationen um mehr als ein Drittel auszudehnen. 424 Variante 2: Senkung der Lohnnebenkosten, idealerweise durch Abschaffung der Arbeitgeberbeiträge zu den Sozialkassen. Was
     dazu sinnvoll vorzutragen war, kam früheren Orts zur Sprache (§ 34). Aber das ist nicht der Sinn, der Sinn vorschwebt. Ginge
     es nach ihm, zögen die Einnahmeverluste der Kassen eine sofortige Leistungsverringerung bei gleichzeitiger Teilprivatisierung
     der Sozialsysteme nach sich. Da blüht die doktrinäre Phantasie. 425 Variante 3 geht mit der Mode: »Verlängerung der jährlichen Arbeitszeit ohne Lohnausgleich.« 426 – Es handelt sich um Episoden ein und desselben farblosen Traums: eingefrorene Arbeitskosten, expandierende |360| Arbeitszeit, totale Mobilmachung der arbeitsfähigen Bevölkerung. Keynes’ Frage (und die von Ford): Wie realisiert sich das
     Produkt am Markt, wenn die Erwerbstätigen nur gerade so abgefunden werden, sieht Sinn auf dem Wachposten der Klassik, in abgestandener
     Abwehrpose: »Warum es auf die Nachfrage nicht ankommt«. 427 Die nähere Ausführung kann man sich mittlerweile denken; zur Abrundung des geistigen Kreises ohne inneren Umfang mag sie
     passieren: »Nein, mehr gesamtwirtschaftliche Nachfrage und mehr Kaufkraft ist es wirklich nicht, was Deutschland braucht.
     Unser Land braucht niedrigere Produktionskosten, damit wieder mehr wettbewerbsfähige Produkte angeboten werden. Wettbewerbsfähige
     Produkte suchen sich die Nachfrage selbst.« 428 Mit solch abgenutzten Platitüden erwirbt man heute öffentliche Anerkennung! Wie wär’s, zur Abwechslung, mit Schach statt
     immer nur mit Halma!
    7.

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