Bufo & Spallanzani
auf Druck ein milchiges Sekret absondern. Seine Epithelkörperchen sind kleiner und flächiger. Diese Kröte wird bis zu zweiundzwanzig Zentimeter lang, während der Bufo marinus höchstens achtzehn erreicht. Aber beide sind für den Menschen in absolut gleichem Maße von größtem Nutzen.«
Perplex starrte ich erst auf die eine, dann auf die andere Kröte. Ich sah keinen Unterschied.
»Nun?« sagte der Alte.
»Nun was?«
»War Ihre Kröte nun ein Bufo paracnemis oder ein Bufo marinus?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich geknickt.
»So wenig zu wissen, das geht zu weit.«
»Es ist keine Schande, etwas nicht zu wissen.«
»Rrr, dieser verfluchte Freibrief von Cicero, der rettende Strohhalm aller Schwachköpfe – nee me pudet ut istos fateri nescire quid nesciam. Merken Sie sich eins: Die einzige wirkliche Sünde des Menschen ist die Unwissenheit.«
Der Alte war so wütend, daß er seinen Kopf hin- und herwarf, als wäre ihm ein Schwarm Mörderbienen in die Haare geraten.
»Sehen Sie zu, daß Sie hier rauskommen«, sagte der Alte, nachdem er der Wand einen Faustschlag versetzt hatte.
»Diese hier!« Die göttliche Vorsehung hatte mich erleuchtet, und plötzlich wußte ich eindeutig, welche meine Kröte war. »Diese hier«, sagte ich und drückte meinen Finger auf eine der abgebildeten Kröten.
»Bufo marinus?«
»Ja, Bufo marinus.«
»Hm, grr, rr«, grunzte der Alte, »es konnte auch nur die sein. Das ist die, die Hexer gern benutzen.«
Als Ceresso das sagte, klopfte mir das Herz wieder schneller, und am liebsten hätte ich mich hingekniet und seine in schiefgetretenen Stiefeletten mit Elastikeinsatz steckenden Füße geküßt. Hexer! Das Wort klang wie ein von Trommeln begleitetes Lied.
»Hexer, erzählen Sie mir von Hexern!« bat ich.
»Wo ist denn bloß mein Marcgrave?« Der Alte stöberte eine Weile die Bücher durch, die im Regal standen. Währenddessen redete er weiter: »Schon in der Historia Naturalis Brasiliense, die er 1648 geschrieben hat, spricht Marcgrave davon, daß die brasilianischen Hexer das Gift des Bufo marinus verwenden. Aber das ist naturwissenschaftliche Prähistorie. Lesen Sie zu diesem Thema bei Lamarque Douyon nach, einem Forscher aus Portau-Prince, der sich mit den haitianischen Zombies beschäftigt hat, lesen Sie die Artikel von Wade Davis im Journal of Ethnopharmacology und sein Buch Die Schlange und der Regenbogen, lesen Sie von E. Nobre Soares das Buch Os Bocors und Der Stechapfel und seine Zombie-Wirkung von Akira Kobayashi. Wie Sie sehen, habe ich nach Ihrem Anruf ein wenig recherchiert.«
»Wo finde ich diese Bücher?«
»Ich habe nur den Marcgrave, aber ich weiß nicht, wo er ist. Das Buch von Davis ist erhältlich. Das Material von Douyon zu finden dürfte wohl schwierig werden. Aber versuchen Sie es auf alle Fälle in der Nationalbibliothek. Es könnte ja sein.«
»Und die Pflanze?«
»Welche Pflanze?«
Ich zog eine Plastiktüte mit den Pflanzenresten, die ich in Dona Clara Estruchos Abfällen gefunden hatte, aus der Tasche.
»Ist das vielleicht das Futter der Kröte?« fragte ich.
»Kröten sind keine Pflanzenfresser«, sagte Ceresso. »Lassen Sie das hier. Ich seh’ mir an, was das ist. Schreiben Sie mir hier auf dieses Blatt Ihre Telefonnummer.«
Leicht enttäuscht und etwas bedrückt verließ ich den alten Ceresso. In einem bestimmten Moment war ich mir sicher gewesen, daß der Alte mir den Weg zeigen würde, wie ich das ganze Geheimnis um den falschen Tod von Maurício Estrucho aufdecken könnte, und zwar in dem Augenblick, als ich den Drang verspürte, ihm die Stiefeletten zu küssen. Aber der Alte hatte mich zum Nachschlagen in die Nationalbibliothek geschickt, und da befand ich mich jetzt, auf der Freitreppe vor dem Gebäude in der Avenida Rio Branco, was mich an die Zeiten erinnerte, als ich von der Schule Pedro II. in der Rua Marechal Floriane Ecke Rua Camerino kommend die ganze Avenida bis zur Bibliothek zu Fuß hinunterging. Es war damals kein leichtes, die Bücher zu finden, die ich haben wollte; sie standen nie auf ihrem Platz, entweder wurden sie gerade neu eingebunden oder sie waren schlicht nicht vorhanden.
Nach einer Stunde nutzloser Sucherei mußte ich aufhören, denn die Bibliothek machte zu.
»Wenn Sie morgen wiederkommen, kommen Sie zu mir, dann helfe ich Ihnen, die Bücher zu suchen«, sagte eine Bibliotheksangestellte. Sie war blaß und hatte dünne, glatte braune Haare.
Als ich nach draußen ging und mir dabei den Zettel mit
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