Bufo & Spallanzani
war zumute wie dem Autor von Paradise Lost: So farewell Hope, and with Hope farewell Fear, / Farewell Remorse: all Good to me is lost; / Evil be thou my Good.
Am Morgen des Tages, an dem meine Verzweiflung ihren Höhepunkt erreicht hatte, kam ein Wächter und sagte, meine Schwester und ein Pater hätten die Erlaubnis erhalten, mich zu besuchen. Ich lag auf der schmalen, verdreckten Pritsche der winzigen Zelle. Überrascht stand ich auf.
»Ivan, mein Ivan«, sagte meine Schwester und umarmte mich. »Ich habe Pater João mitgebracht, damit du beichten kannst.«
»Lassen Sie uns allein«, sagte der Pater, ein schwarzbärtiger Mann, zu dem Wächter.
Als der Wächter weg war, sagte Minolta: »Du gehst mit mir raus.«
»Ich bleibe statt deiner hier«, sagte Siri und nahm den falschen Bart und die Soutane ab.
»Die bringen dich hier um in diesem Inferno, das kann ich nicht zulassen, daß du so etwas für mich machst«, sagte ich.
Minolta erklärte mir, Siri sei nicht so ein verrückter Grabschänder wie ich. Sie hätten einen Anwalt gefragt, und das, was man Siri zur Last legen könne, sei eine Kleinigkeit. Schließlich überzeugten mich die beiden.
Unbehelligt gelangte ich durch sämtliche Türen in meiner Verkleidung als Pater, der eine arme, unglückliche junge Frau tröstete, die so laut jammerte, daß keiner auf mich achtete. Die Wächter waren dankbar, daß sie Minoltas Geschrei loswurden. Einer nahm mich sogar am Arm (worüber ich vor Schreck fast gestorben wäre) und sagte: »Pater, bringen Sie bloß dieses Mädchen schnell raus.«
Von der Heilanstalt fuhren wir direkt zum Busbahnhof. In der Toilette des Busbahnhofs zog ich die Sachen an, die Minolta in einem Köfferchen mitgebracht hatte, nahm den Bart ab und steckte ihn zusammen mit der Soutane in den Koffer. Wir stiegen in einen Bus und fuhren in die Seengegend, an einen Ort namens Iguaba.
Dort blieb ich zehn Jahre. Minolta schlug mir vor, Schriftsteller zu werden, und brachte mich auf die Idee zu meinem ersten Buch. Minolta trug das Buch zu einem Verleger und sorgte dafür, daß es veröffentlicht wurde. Für mein Pseudonym Gustavo Flávio entschied ich mich zu Ehren von Flaubert; damals haßte ich die Frauen, genau wie Flaubert. Heute würde ich einem anderen Schriftsteller meine Reverenz erweisen. Minolta brachte mir die Kunst des Liebens bei. Sie brachte mir die Freuden des Essens bei. Wir machten täglich mehrmals Liebe. Ich nahm dreißig Kilo zu. Und wurde berühmt.
Eines Tages kam Minolta zu mir und sagte: »Ich glaube, du kannst nach Rio zurück. Keiner denkt mehr an Ivan Canabrava.«
»Kommst du mit?«
»Nein. Aber ich liebe dich und werde dich regelmäßig besuchen. Ich komme alle sechs Monate zu dir. Ich will hier bleiben, an diesen menschenleeren Stränden, und meine Gedichte schreiben. Sei gut zu den Frauen.« Sie wußte, daß ich durch sie die Lust an der Liebe mit den Frauen entdeckt hatte.
Seit ich vor zehn Jahren nach Rio zurückgekehrt bin, kommt Minolta mich alle sechs Monate besuchen. Ich erzähle ihr von meinen Abenteuern. Das letzte war meine Romanze mit Delfina Delamare.
Zurück zu dem Bericht über die Romanze mit Delfina Delamare, den ich unterbrochen habe, um von meiner dunklen Vergangenheit zu erzählen.
Nach Eugênio Delamares Drohung machte ich mir zwei Tage lang Sorgen, bis ich in den Klatschspalten der Zeitungen las, daß das Ehepaar Delamare nach Paris abgereist war.
»Den Rest kennst du schon, Delfina kam früher zurück, wurde tot aufgefunden et cetera. Ihr Mann beschäftigt mich nicht so sehr wie der Polyp Guedes, dieser schäbige Spürhund.«
Das sagte ich zu Minolta, ehe ich zur Wache ging, wo Guedes mir sagte, daß ein Straßenräuber gestanden habe, Delfina ermordet zu haben.
Bei der Rückkehr von der Wache plagte mich die Angst, Guedes könne meine dunkle Vergangenheit herausbekommen. Minolta beruhigte mich mit den Worten, das sei unmöglich. Es sei schon so lange her et cetera.
»Viel mehr Sorgen macht mir, daß du es nicht schaffst, Bufo & Spallanzani zu schreiben«, sagte sie.
Da kamen wir auf die Idee, ich könnte für ein paar Tage in ein Haus namens Refúgio do Pico do Gavião in den Bergen von Bocaina fahren.
»Vielleicht wäre es das beste, wenn du deinen TRS-80 mal eine Weile stehen ließest. Du hast dich zu sehr an ihn gewöhnt, das ist nicht gut. Ein Schriftsteller muß in jeder Situation schreiben können«, sagte Minolta.
Teil III
Im Refúgio do Pico do
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