Bufo & Spallanzani
Gavião
Eigentlich kann man mir nicht vorwerfen, ich hätte Guedes unterschätzt. Wie alle Menschen – Unbescholtene wie Kriminelle – hatte ich natürlich eine Aversion gegen die Polizei. Wie ich schon sagte, hatte ich, während ich in der Zwangsheilanstalt saß, schwer gelitten in den Klauen der Hüter des Gesetzes und der Ordnung, egal, ob es Polizisten, Richter, Staatsanwälte waren oder Ärzte oder Pfleger. Kann man zum Beispiel den Starrkrampf unterschätzen? Aber ich greife voraus und spreche von Dingen, die nicht hierher gehören, und Schriftsteller verabscheuen Durcheinander und Unordnung. Das ist Teil unserer inneren schizoiden Zerrissenheit (vgl. W. Whitman). Wir lehnen das Chaos ab, mißbilligen aber noch mehr die Ordnung. Ein Schriftsteller muß von seinem Wesen her subversiv sein, und seine Sprache kann weder die mystifizierende Sprache des Politikers (oder Erziehers) noch die repressive des Herrschenden sein. Unsere Sprache muß die des Nicht-Konformismus, der Nicht-Falschheit, der Nicht-Unterdrückung sein. Wir wollen nicht Ordnung in das Chaos bringen, wie manche Theoretiker vermuten. Wir wollen es auch nicht begreifbar machen. Wir stellen immer alles in Frage, auch die Logik. Ein Schriftsteller muß ein Skeptiker sein. Er muß gegen die Moral und die guten Sitten sein. Properz mag sich gescheut haben, gewisse Dinge zu erzählen, die seine Augen sahen, aber er wußte, daß die Poesie ihren besten Stoff aus den »schlechten Sitten« holt (vgl. Veyne). Die Poesie, die Kunst schlechthin geht über die Kriterien der Nützlichkeit und Schädlichkeit, ja selbst der Verständlichkeit hinaus. Jede auffallend verständliche Sprache ist verlogen.
Dies sage ich heute, aber ich kann nicht versprechen, daß ich noch in einem Monat an diese oder irgendeine andere Aussage glaube, denn ich besitze die schöne Eigenschaft der Inkohärenz. Was die anderen Personen – Guedes, Orion, Suzy, Delfina, selbst Minolta et cetera – sagen oder denken, damit habe ich nichts zu tun. Deren Meinungen sind nicht meine.
Aber nehmen wir den Faden wieder auf. Ich kam als erster auf dem Dorfplatz von Pereiras an, dem kleinen Ort am Fuße des Gebirges. Ich setzte mich in der Grünanlage, über der noch der Morgennebel hing, auf eine Bank. Ich bin heute zwar ein träger Mensch, aber ich bin auch nervös und warte nicht gern. Ich hätte lesen können, aber die Bücher, die ich mitgenommen hatte, waren im Koffer. Also zog ich einen Notizblock aus der Tasche und versuchte, mein Unvermögen, mit der Hand zu schreiben, das in den letzten Jahren durch die Gewöhnung an den TRS-80 noch schlimmer geworden war, zu überwinden und Notizen zu Bufo & Spallanzani zu machen. In diesem Augenblick fuhr eine riesige Limousine auf dem Platz vor, und ihr entstiegen eine Frau (die Frauen sah ich immer zuerst) und ein Mann. Die blasiert wirkende Frau blickte gelangweilt über den Platz und über meinen Kopf hinweg, was beabsichtigt sein mußte, denn ich bin viel zu groß und attraktiv, als daß irgendeine Frau mich auf einem leeren Platz übersehen könnte. Der Mann sah dem Chauffeur zu, wie er drei große Koffer aus feinem Leder aus dem Kofferraum lud; anschließend entließ er seinen Angestellten mit einem angedeuteten Kopfnicken.
Wie diese Menschen beschreiben? Als bemerkenswert? Außergewöhnlich? Da ich den Block in der Hand hielt (und wie sehr unterscheidet sich doch das, was man denkt, von dem, was man schreibt!), schrieb ich: Beeindruckend und ausgefallen – ungewöhnlich, wunderbar, unerhört? Oder nur extravagant – insanus, stultus? Sie waren vor allem schlank (mehr noch als geschmeidig und anmutig), mit der ganzen Sinnlichkeit, die die Schlankheit einem so monumental Dicken wie mir suggeriert. Die Frau trug lange, weite Hosen, die jedoch nicht die Massigkeit (nicht Massigkeit, die straffe Rundlichkeit) ihrer langen Schenkel verbargen; die Knospen ihrer runden, festen Brüste schienen ihre Trikotbluse durchbohren zu wollen. Bestimmte Wörter, die ich nur mit Frauen in Verbindung bringe, kamen mir in den Sinn: prachtvoll, üppig. Ihr Gesicht indes zeigte, wie ich fand, einen verächtlichen Ausdruck, zumindest in jenem Augenblick des Haßgefühls. Ich hasse alle Frauen, solange sie unbezwungen sind. Ich glaube, das ist bei allen Lüstlingen so.
Und der Mann, nun, der hatte trotz seines kräftigen Kinns und seiner breiten Schultern etwas von einem verwöhnten Kind, eine gezierte Art, die Lippen aufeinanderzupressen, den Kopf zu
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