Bufo & Spallanzani
die Verbrecher würden endlich bestraft werden.
Die falsche Grabstätte hatte man mit einer schwarzen Marmorplatte abgedeckt, auf der nur Maurício Estrucho und die Daten seiner Geburt und seines (angeblichen) Todes standen.
»Du nimmst den Stechbeitel und den Keilhammer. Ich arbeite mit der Spitzhacke.«
Dieser verfluchte Marmor! Die Platte war so festzementiert, daß man sie zerschlagen mußte, um sie zu entfernen. Ganz offensichtlich sollte dieses Grab nie wieder geöffnet werden. Ich fing an, wie wild mit der Hacke auf den Marmor zu hauen. Minolta trieb mit dem Stechbeitel und dem Keilhammer Löcher in die glatte Oberfläche der Grabplatte. Nach und nach splitterte der Marmor ab, und endlich gelang es uns, ihn hochzustemmen, worauf die Zementplatte zum Vorschein kam, die das Grab bedeckte.
»Halt! Halt!« schrie eine Stimme.
Nicht weit von uns stand ein Totengräber und sah erschrocken zu uns herüber. Ich lief zu ihm. Ich packte ihn am Arm. »Halt den Mund«, sagte ich, »sei still, sonst schlag’ ich dir diese Hacke über den Schädel.« Ich mußte dieses Grab unbedingt ganz freilegen.
»Hilfe!« schrie der Totengräber. »Hilfe!« Vermutlich war auch er an dem Betrug beteiligt.
Auf das Geschrei des Totengräbers hin hörte Minolta auf zu arbeiten und stand ratlos da.
»Halt den Mund«, sagte ich und schüttelte den Totengräber, einen alten, grauhaarigen Mann.
»Hilfe!« schrie der Totengräber erneut mit kraftloser Stimme. Wir befanden uns mitten auf dem Friedhof, weitab von der Straße, und niemand schien seine Schreie gehört zu haben.
»Bitte, sei still«, flehte ich.
»Hilfe, Diebe!« schrie der Totengräber mit kreischender Stimme.
Da schlug ich dem Totengräber die Hacke mit voller Wucht auf den Kopf. Er fiel mit blutüberströmtem Gesicht um.
»Ist er tot?« fragte Minolta.
Ich hörte einen Pfiff. Von weitem, von den Kapellen her, kamen ein paar Gestalten in unsere Richtung gelaufen.
»Weg hier«, sagte ich. Aber Minolta rührte sich nicht. »Ist er tot?« fragte sie und hielt noch immer Stechbeitel und Keilhammer in der Hand. Ich packte sie am Arm, riß sie mit, und da schien sie aus einer Art Trance zu erwachen und rannte mit mir durch den Hauptausgang hinaus. Unterwegs ließen wir Spitzhacke, Keilhammer, sämtliches Werkzeug fallen. Schließlich erwischten wir ein Taxi. Wir packten unsere Sachen, und während Minolta sagte: »Komm, wir müssen uns beeilen«, beschloß ich, Mariazinha und Siri eine Nachricht zu hinterlassen. Hätte ich das nicht getan, wäre ich der Verhaftung entgangen. In dem Augenblick, als wir das Gebäude verließen, fuhr ein Wagen der Polizei vor. Drinnen saß Gomes. Was danach geschah, habe ich versucht zu vergessen, aber hin und wieder kommt es in Form eines Albtraums zurück. Man brachte mich zuerst auf ein Kommissariat, dann auf ein anderes und zuletzt zur Untersuchung in die Zwangsheilanstalt. In der Zwangsheilanstalt erwies sich, daß sie mich für verrückt hielten oder dafür bezahlt worden waren, mich für verrückt zu halten. Das machte mich so rasend, daß ich mich aufführte, als wäre ich tatsächlich verrückt. Ich bekam einen Anfall von Verfolgungswahn, so sicher war ich mir, daß die Ärzte am Komplott beteiligt waren. Ich beschimpfte die Mediziner als finstere Mafiosi, wurde einem gegenüber handgreiflich und versuchte, aus der Station zu fliehen. Ich ritt mich immer tiefer hinein. Mir wurde klar, daß ich den Rest meines Lebens dort verbringen und von einem Arzt zum nächsten wandern würde, bis ich am Ende wirklich verrückt wurde oder irgend jemanden umbrachte und ihnen damit einen Grund lieferte, mich einzusperren. Bei diesen Gedanken packte mich das Grauen. Heute versuche ich, aus meinem Kopf zu verbannen, was damals geschehen ist, und mache ständig gezielte Gedächtnisübungen, nicht um mich daran zu erinnern, sondern um das alles zu vergessen. Ich werde nicht viel über die Zeit sagen, die ich in der Zwangsheilanstalt, dieser grauenhaften Hölle, eingesperrt saß. Die normalen Anstalten, wo weniger strenge Vorschriften herrschen, sind vermutlich voll von Leuten in der gleichen Situation. Eine Zwangsheilanstalt ist viel, viel schlimmer. Wie viele Unschuldige wie ich, der den Totengräber aus Versehen getötet hatte, mochten dort zugrunde gehen? Nachdem ich ganze Nächte hindurch, wie viele, weiß ich nicht, vor Fieber zitternd Stimmen gehört und jede Hoffnung verloren hatte, ahnte ich, daß ich irgendwann wirklich durchdrehen würde. Mir
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