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 Bufo & Spallanzani

Bufo & Spallanzani

Titel: Bufo & Spallanzani Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rubem Fonseca
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bin gegen solcherart Hetzerei immun. Ich weiß, die Eile der anderen ist nie meine.
    Derjenige, der klopfte, war nicht sehr hartnäckig. Es verging einige Zeit, bis ich neues zaghaftes Klopfen an der Holztür hörte. Ich ging ins Badezimmer und betrachtete mein Gesicht im Spiegel. Nach einer Siesta wache ich immer frisch und gestärkt auf, und das spiegelt sich in meinem Gesicht. Ich kämmte mir die Haare. Es war fünf Uhr nachmittags, wie ich auf meiner Armbanduhr sah. Ich hatte ungefähr drei Stunden geschlafen.
    Der Betreffende hatte nicht wieder angeklopft, aber ich wußte, daß er noch da war.
    Ich machte auf.
    »Habe ich Sie geweckt?« fragte Carlos.
    »Nein. Ich habe mir gerade die Haare gekämmt. Kommen Sie herein.«
    Carlos trug noch immer dieselben Sachen, in denen er im Refúgio angekommen war. Er setzte sich in den einzigen Sessel des kleinen Wohnzimmers. Ich nahm auf dem Sofa Platz.
    »Ich habe alle Ihre Bücher gelesen«, sagte Carlos. »Oder fast alle.«
    Ich habe noch nie gewußt, was ich auf eine solche Erklärung antworten sollte. Vielen Dank?
    »Ihre Gedichte, Ihre Erzählungen, Ihre Romane. Und Ihre Stücke habe ich auch gesehen.«
    Vielen Dank?
    »Besonders gut gefallen hat mir auch Trápola, eine großartige Kriminalgeschichte. Warum haben Sie nicht noch mehr Krimis geschrieben?«
    »Das weiß ich nicht.«
    »Die Liebenden ist ganz anders. Eine Liebesgeschichte zwischen einer Blinden und einem Taubstummen.«
    »Die auf einem Sinnesinstrumentarium, das weder visuell noch auditiv arbeitet, basierende Liebe«, (vgl. Hall) sagte ich.
    »Für mich ist das die Geschichte von zwei Menschen, die ihre Begrenztheit überwinden und das Glück finden«, sagte Carlos. Seine Stimme klang merkwürdig, er hatte etwas beunruhigend Weibliches an sich.
    »Die Liebe ist immer das Ergebnis dessen, wie wir den anderen wahrnehmen. Die Kunst hat im allgemeinen das Sehen (Form und Bewegung) und das Hören (Klang, Musik) als kognitive Elemente der Liebe gepriesen. Die Liebe zwischen meinen Romanfiguren hingegen entsteht aus Wahrnehmungen von Muskelbewegungen, Geruch und Wärme. Die Wahrnehmung vollzieht sich über die Sinne, Kant et cetera, darauf brauchen wir nicht weiter einzugehen. Was ich sagen will, ist, daß die Liebe eine Form der Wahrnehmung ist und im Fall von Die Liebenden auch eine Form der Transzendenz.«
    Carlos wiegte den Kopf. Meine Worte schienen ihn zu bedrücken. Er erhob sich aus dem Sessel. »Wenn Sie zum Abendessen gehen, vergessen Sie nicht, Ihre Taschenlampe mitzunehmen«, sagte er.
    »Daran hatte ich noch gar nicht gedacht.«
    »Die Taschenlampe liegt in der Nachttischschublade im Schlafzimmer.«
    »Danke, daß Sie mich daran erinnert haben.«
    »Wissen Sie, wie Sie hinkommen?«
    »Ja. Das ist kein Problem.«
    Er schien mir etwas sagen zu wollen, wirkte aber unentschlossen. Schließlich verabschiedete er sich, streckte die Hand aus und zog sie wieder zurück. Ich brachte ihn zur Bungalowtür. Die Luft war kühl und klar, Vögel sangen in den Bäumen, wie sie es immer tun, wenn der Abend naht. Carlos lauschte eine Weile den Vögeln und sagte irgend etwas, was ich nicht verstand. Er sprach immer sehr leise, fast tonlos, wie jemand, der seine Stimme falsch einsetzt.
    Ich ging in mein Schlafzimmer zurück und versuchte, an Bufo & Spallanzani zu schreiben. Mein Verleger wollte von mir wieder so einen Krimi wie Trápola. »Bitte denk dir nichts Neues aus. Du hast treue Leser, gib ihnen, was sie haben wollen«, sagte mein Verleger. Nichts ist für einen Schriftsteller schwieriger als das zu geben, was der Leser will, und zwar aus dem ganz einfachen Grund, daß der Leser nicht weiß, was er will; er weiß nur, was er nicht will, so wie jedermann; was er in der Tat nicht will, ist etwas ganz Neues, anderes als das, was er zu konsumieren gewohnt ist. Man könnte auch sagen, daß der Leser, wenn er weiß, daß er das Neue nicht will, contraria sensu weiß, daß er das Alte, Bekannte will, das ihm erlaubt, den Text unter möglichst geringer Anspannung zu genießen.
     
    Ouverture zu Bufo & Spallanzani
     
    Der Gelehrte Spallanzani stand am Fenster und betrachtete den Dom von San Gimignano just in dem Augenblick, als die Glocke des im romanischen Stil erbauten und unter dem poetischen Namen La Ghirlandina bekannten Turmes zweimal schlug. Daraufhin wandte der Wissenschaftler seine Aufmerksamkeit wieder dem Paar zu, das sich mit ihm in dem großen, von einem hohen Milchglasoberlicht erhellten Salon befand.

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