Bufo & Spallanzani
Beide, Bufo & Marina, wirkten sehr ruhig; Spallanzani hingegen konnte seine Nervosität nicht unterdrücken und ging in seiner üblichen Haltung, die Hände auf dem Rücken, den Kopf vorgebeugt, im Salon auf und ab.
Das Leben des Gelehrten war sehr bewegt gewesen. Als Fünfzehnjähriger war er in den Orden der Jesuiten eingetreten und hatte sehr früh die Priesterweihe erhalten. Statt sich dem Ordensleben zu widmen, hatte er sich zum Studium der Rechtswissenschaft an der Universität von Modena eingeschrieben. An der Universität lernte er Laura Bassi kennen, die wie er in Scandini geboren war. Angeblich war es Laura – sie lehrte an der Universität Physik –, die Spallanzani dazu bewegte, das Studium der Rechtswissenschaft zugunsten der Biologie aufzugeben. Allerdings blieb Spallanzani weiterhin Priester; denn zu jener Zeit, als diese Geschichte sich zutrug, trat niemand aus der Kirche aus, und schon gar nicht aus einem so unerheblichen Grund wie mangelnde Berufung zum Klosterleben.
An jenem Tag hatte Spallanzani nicht die schwarze Soutane an, die er normalerweise trug. Er war mit einer dunklen Samthose und einer weißen Seidenbluse bekleidet, die seinen Körper umspielte, denn der Gelehrte liebte es, sich ungehindert bewegen zu können. Auf einem großflächigen, quadratischen Tisch aus poliertem Holz befanden sich Papierstapel, Bücher, Tintenfässer und Schreibfedern. Viele Blätter waren mit der winzigen Schrift und den peniblen Zeichnungen des Naturwissenschaftlers beschrieben.
Jemand klopfte an. Es war eine Frau. In ihrer Jugend mußte sie von außergewöhnlicher Schönheit gewesen sein; im Laufe der Zeit war sie eine majestätische, dominierende Erscheinung geworden. Bufo und Marina folgten mit dem Blick ihrer schönen, tief goldfarbenen Augen den Bewegungen der Frau, als sie in den Salon hereinkam. Spallanzani half ihr, den langen Umhang abzulegen. Darauf setzte Laura sich, und alle vier schwiegen zunächst.
»Ich habe einen Namen für das Buch gefunden«, sagte Spallanzani. »Pròdromo di un’ ópera da imprimersi sópra la riproduzione animale.«
Die Frau äußerte sich lobend über den Buchtitel. Dann fragte sie: »Das sind – «
»Bufo und Marina.«
»Marina, von marinus … « Die Frau lachte, in vollem, schwingendem Ton, der tief aus ihrer Brust kam. »Sie sind schon länger auf der Erde als wir.«
»Sie konnten früher sprechen als wir«, erwiderte Spallanzani.
»Und früher singen als wir, sie haben die Musik erfunden. Sie sind sehr alt, gleich nach dem Devon entstanden.«
»Wir sind nur erbärmliche Emporkömmlinge«, sagte der Gelehrte. »Laß uns anfangen.«
Laura stand auf und ging zum Fenster.
»Willst du nicht zusehen?« fragte Spallanzani.
»Und wenn Bufo nichts von ihr wissen will? Vielleicht hemmt ihn meine Gegenwart«, sagte Laura, noch immer am Fenster.
»Das wird nicht der Fall sein, ich kenne ihn gut«, sagte Spallanzani, nahm drei Kerzen aus einer Schublade und zündete sie an.
»Sieh nur, wie gut entwickelt Bufos Kopf ist. Schöne ovale Ohrdrüsen. Voller Gift.« Bei dem Wort Gift schwang eine gewisse Feindseligkeit mit, als wollte der Gelehrte auf einen Makel des Lebewesens vor ihm hinweisen.
»Marinas Körper wäre auf eine außergewöhnliche Art schön, hätte sie nicht auf der ganzen Haut diese weichen Drüsen, diese Hornhautspitzen, die wie Pickel aussehen«, sagte Laura.
Bufo klammerte sich mit Macht an Marinas Rücken. Nachdem sie eine gewisse Zeit in dieser Umarmung verharrt hatten, löste sich aus Marinas Kloake eine lange, gewundene gallertartige Schnur durchsichtiger Eier.
»Er ist von seinem blinden Arterhaltungstrieb derart besessen, daß er nichts spüren wird«, sagte Spallanzani und brannte mit einer Kerze einen Fuß von Bufo an.
»Er hat fünf Zehen, das hatte ich ganz vergessen«, sagte Laura.
»Die Protohand«, sagte der Gelehrte.
Von dem verbrannten Muskelgewebe und der Knochensubstanz stieg ein strenger Geruch auf und verteilte sich im Raum.
»Er hat keine Zähne, wußtest du das?« fragte Spallanzani, während er weiter Bufos Fuß verbrannte. »Und die giftigen Sekrete treten aus seinen Drüsen nur aus, wenn sie gedrückt werden. Bufo kann sie nicht steuern. Aber sein Trieb ist sowieso stärker als alles andere; das ist das Geheimnis seiner phantastischen Überlebensfähigkeit.«
Bufos Fuß war schon vollkommen verkohlt, aber er hielt Marina noch immer fest mit den Vorderbeinen umklammert. Der Gelehrte ließ Bufos Bein und Oberschenkel
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