Bufo & Spallanzani
als Küken.«
Den Nachtisch, der immer aus hausgemachten Puddings in Soßen und Kompotten bestand, wartete ich nicht ab. Ich mag keine Süßspeisen, zum Glück, denn sonst würde ich noch mehr wiegen. Und zudem wollte ich nicht mehr bei Orion am Tisch bleiben. Männer mag ich nicht, wie gesagt.
Ich ging auf die Terrasse und setzte mich mit geschlossenen Augen in einen Liegestuhl. Mir ging es nicht gut. Der verfluchte Polizist Guedes, dieser arme Teufel, ging mir nicht aus dem Kopf. Auch Delfina ging mir nicht aus dem Kopf, sie war mein Schwarzes Loch, eine unwiderstehliche Anziehungskraft. Tausendfach hatte ich erfahren, daß »die Dinge sich trennen« (vgl. Heraklit), und früher oder später hätte ich mich von ihr getrennt, denn ich fürchtete, feststellen zu müssen, daß auf lange Sicht das Phlegma stärker ist als die Leidenschaft, aber auf lange Sicht werden wir alle, et cetera. Da saß ich nun und durchlitt diese Erinnerungen, die, zu Papier gebracht, theoretisch wie eine Therapie wirken konnten, aber Schreiben kuriert nicht, im Gegenteil, es deformiert die Psyche (vgl. Braine). Wenn Schreiben guttut, dann stimmt irgend etwas an unserer Literatur nicht. Schreiben ist ein mühseliger, aufreibender Prozeß, deshalb gibt es unter uns Schriftstellern so viele Alkoholiker, Drogensüchtige, Selbstmörder, Menschenhasser, Aussteiger, Verrückte, Unglückliche, früh Verstorbene und verkalkte Alte.
Um aus meiner Trübsal herauszukommen, dachte ich an die Spanferkelchen, die sicherlich schon für das Mittagessen am nächsten Tag gewürzt wurden, und natürlich auch an den Stockfisch, der an diesem Tag zum Abendessen serviert werden sollte. Ich schlug die Augen auf und stellte fest, daß Carlos und ein anderer Reiter Seite an Seite, die Pferde in versammeltem Schritt wie bei einem Reitturnier, über die Rasenfläche in Richtung Haupthaus ritten. Als sie näher kamen, stellte ich fest, daß Carlos’ Begleiter ein langhaariger, weißbärtiger Mann war, der einen Cowboyhut trug. Wahrscheinlich war das der als Einsiedler bekannte Alte, der oben in den Bergen lebte. Sie ritten an der Terrasse vorüber, und der Alte wandte sein runzliges, sonnenverbranntes Gesicht in meine Richtung, aber seine Augen konnte ich nicht sehen, sie waren vom Hut verdeckt. Sie ritten zu den Ställen, um die Pferde zu versorgen.
Wieder in meinem Bungalow, versuchte ich erfolglos, weiter an Bufo zu schreiben.
Nur dank der Aussicht auf das Abendessen war ich nicht vollkommen unglücklich.
Wie üblich war ich der erste Gast, der den Speiseraum betrat. Es duftete nach dem Stockfisch mit Kartoffeln, Paprika und Oliven, den Dona Rizoleta gemacht hatte. Im Laufe der Menschheitsgeschichte sind Millionen von Menschen verhungert und verhungern noch immer. Manche haben sich aber auch zu Tode gegessen und tun es noch immer. (Vielleicht werde ich einer von ihnen sein.) Für die einen wie die anderen, die Mittellosen wie die Übersättigten, ist Essen die allerwichtigste Betätigung überhaupt. Essen, essen! Ach, ist essen schön! Ich gehöre nicht zu jenen, die Stockfisch in dicken Scheiben gebraten essen, das ist eine nur dem Steak Tatar vergleichbare gastronomische Schandtat. In Scheiben gebraten behält der Stockfisch seine durch das Einsalzen hervorgerufene Sprödigkeit, auch wenn er vorher vierundzwanzig Stunden lang eingeweicht worden ist, beim Servieren reichlich mit feinem Olivenöl übergossen und anschließend mit großen Schlucken prickelnden roten Alvarelhão-Krätzers die Kehle heruntergespült wird. Aber zusammen mit Kartoffeln, die in Scheiben geschnitten abwechselnd mit dem kleingezupften Stockfisch in eine Form geschichtet werden, wird der strenge Salzgeschmack sublimiert, und beide, Stockfisch und Kartoffeln, verschmelzen zu einer dritten, kräftigen, aber gleichzeitig delikaten und grandiosen Sache. Selbstverständlich muß man das können, so wie Dona Rizoleta zum Beispiel. Kaum hatte man mir die dampfende Platte vorgesetzt, stellte ich fest, daß sich darauf ein Meisterwerk, ein außergewöhnlicher Beweis des menschlichen Könnens befand. Frieden und Freude erfüllten mein Herz.
(Diese Köstlichkeit kann sowohl abends verzehrt werden, wie es am üblichsten ist, als auch nachts oder selbst morgens. Ich habe schon einmal morgens nach dem Aufwachen Stockfisch gegessen und bin anschließend wieder ins Bett gegangen, wo eine Frau mich schlafend erwartete. Diesen Tag habe ich noch deutlich in Erinnerung. Sie hieß Regina und tat, als
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