Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
 Bufo & Spallanzani

Bufo & Spallanzani

Titel: Bufo & Spallanzani Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rubem Fonseca
Vom Netzwerk:
hinauf und überlegte dabei, was ich schreiben wollte. Und da fing das Feuer oben auf dem Berg an.«
    »Ich bin fast vor Angst gestorben, als Orion mir heute morgen diese Geschichte erzählt hat«, sagte Juliana.
    Suzy und Euridíce hatten sich auf den segeltuchbespannten Liegestühlen auf der Terrasse des Haupthauses ausgestreckt. Wir setzten uns zu ihnen, und bald danach redete Juliana von dem Gelächter, das Orion in der Nacht gehört hatte.
    »Das überrascht mich nicht«, sagte Suzy, »das habe ich in den Karten gelesen.«
    »In den Karten?«
    Wir erfuhren, daß Suzy Expertin in Geheimwissen¬schaften war. Die Boutique war nur ein Gelderwerb. »Ich gehe manchmal tagelang nicht dahin.« Sie kannte sich in Astrologie, Kabbala, Talismankunde, Zahlenmystik, Handlesekunst, Kartenlesen und Esoterik aus. Sie hatte die Karten gelegt und Dinge gesehen, über die sie lieber nicht sprechen wollte. Aber es waren nicht nur die Karten. Sie hatte in den Beryll gesehen und das gleiche erblickt. Der Beryll, erklärte sie, sei der Stein, den man bei der Kristallomantie benutze. Obwohl sie nur zur Erholung ins Refúgio gekommen war, hatte sie außer zwei Tarotkartenspielen und dem Beryll ein I-Ging-Buch mitgebracht, einen Satz Kaurimuscheln, einen aus Quecksilber und Blei gegossenen Talismanring, einen Tiegel Paracelsus-Lilium und eine Portion Frascator-Discordium, vom allerreinsten, mit sämtlichen Ingredienzien wie Styrax, Tormentill, Steckenkraut, Wiesenknöterich und sogar dem höchst seltenen Diptam aus Kreta (vgl. Sepharial).
    »Außerdem natürlich auch meine Eule. Von meiner Eule trenne ich mich nie.«
    »Eine echte Eule?«
    »Nein. Aus Bronze. Irgendwann zeige ich sie Ihnen!«
    »Ich finde diese Eule gräßlich«, sagte Euridíce.
    »Die Hellsicht, der Weitblick, die Voraussicht – damit muß man sehr vorsichtig umgehen«, sagte Suzy. »Ist Carlos beim Reiten?«
    Damals begriff ich Suzys Interesse an Carlos nicht. Aber keiner kann die Tausende von chiffrierten Informationen, die er in jeder Sekunde erhält, dechiffrieren.
    »Dann wollen Sie uns also nicht sagen, was Sie in den Karten gesehen haben?« fragte Juliana.
    »Ich kann nichts sagen«, sagte Suzy und stand abrupt auf. »Komm, Euridíce.«
    Das Huhn in Blutsoße zum Mittagessen war schmackhaft, köstlich, ein Genuß. Es hatte einen Farbton, der ins Mattrote spielte, was bedeutete, daß das Blut des Huhnes auf besondere Art zubereitet worden war. Nicht einmal die Gegenwart von Orion und seine aufreizenden Fragen (er und Juliana hatten sich zu mir an den Tisch gesetzt) konnten mich daran hindern, das Huhn mit seinem blutgetränkten Reis mit Lust zu verzehren. Orion fragte, warum ich nicht einen historischen Roman mit dem Duque de Caxias als Hauptfigur schriebe. Ich versuchte ihm klarzumachen, daß ich für Helden, für mächtige Männer und Frauen, die die Geschichte machen, nichts übrig hatte (für die Männer noch viel weniger als für die Frauen). Ich mochte noch nicht einmal die große Geschichte, die Geschichte an sich. Die Geschichte eines berühmten Mannes konnte ich mit der größten Gleichgültigkeit, wenn nicht gar Verachtung lesen. Aber ich war in der Lage, mich für eine Photographie zu begeistern, die einen »Mann aus dem Volk« auf der Straße oder auf dem Trittbrett einer alten Straßenbahn zeigte, und mir auszumalen, was für ein Mensch er wohl gewesen sein mochte. Mir hatte nie etwas daran gelegen, einen berühmten Mann oder eine berühmte Frau kennenzulernen. Aber liebend gern hätte ich zum Beispiel jene großäugige Telefonistin im langen Kleid gekannt, die auf dem Photo von der Einweihung der ersten Telefonzentrale in Rio de Janeiro im neunzehnten Jahrhundert abgebildet war. Orion erwiderte, für diese meine Idiosynkrasie müsse es eine Freudsche Erklärung geben. Zum Glück kam Roma vorüber, und ich fragte sie: »Wie war der Ausritt?«
    »Phantastisch«, sagte sie und setzte sich an unseren Tisch. Sie erzählte, daß Trindade ihnen wunderschöne Plätze, kristallklare Bäche, Wälder und so weiter gezeigt hatte. Carlos war bis zu einer bestimmten Stelle mitgekommen. »Dann trafen wir diesen geheimnisvollen Alten, der Falken züchtet, und Carlos und er unterhielten sich über das Pferd, das Carlos ritt, und dann sind die beiden zusammen in Richtung Gipfel weggeritten. Wie die Bergziegen.«
    »Der Alte züchtet nicht Falken, er züchtet Küken und füttert damit die Falken«, sagte ich. »Und daran tut er gut. Mir sind jedenfalls Falken lieber

Weitere Kostenlose Bücher