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 Bufo & Spallanzani

Bufo & Spallanzani

Titel: Bufo & Spallanzani Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rubem Fonseca
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Maestro noch größer. Nun ist er fest davon überzeugt, daß er sterben wird – «
    »Ich finde das nach wie vor zu dramatisch. Schließlich hat der Mann nur eine Geige kaputtgemacht«, warf Roma ein.
    »Eine Janzen, das dürfen Sie nicht vergessen. Die Schmerzen der Seele sind sehr subjektiv – wie bereits der Conselheiro Acácio gesagt hat«, setzte Orion schnell hinzu, als er merkte, daß Roma ihn wieder unterbrechen wollte. »Der Maestro war auf der Terrasse seines Bungalows geblieben, ihm war nicht nach Abendessen zumute, er hatte keinen Lebenswillen mehr. Es war dunkel geworden, so finster, daß er seine eigene Hand nicht sah, mit der er sich an die Stirn faßte, um den Kopf abzustützen. Da hörte er einen Laut, der aus der Dunkelheit kam, einen eigenartigen Laut, wie von einer Stimmgabel, auf den vereinzelte Stimmen folgten, anschwellende und abschwellende Töne, die plötzlich abbrachen. Die Stille hielt nur kurz an; ein harmonischer Stimmenchor erfüllte die Nacht und schien zum Firmament aufzusteigen. Der Maestro erhob sich von seinem Stuhl und ging, von den Stimmen geleitet, durch die Dunkelheit, so sicher, als sähe er den Erdboden, auf den er trat, bis er an das Ufer eines Sees gelangte. Dort war die unsagbare Schönheit des Chorgesanges in seiner ganzen unübertrefflichen Großartigkeit zu hören. Er hatte schon die größten und stimmreinsten Chöre der Welt gehört, manche von ihnen sogar selbst dirigiert, aber keiner hatte ihn so aufgewühlt wie dieser. In diesem Augenblick der Ekstase kam der Mond am Himmel zum Vorschein und tauchte den See in silbern schimmerndes Licht. Da konnte der Maestro seine Sänger sehen. Es waren ungefähr fünfzig Kröten, die um eine auf einen Stein gekletterte Kröte einen Kreis bildeten. Alle schauten zu dieser Kröte hoch, die größer als die anderen zu sein schien und mit den Bewegungen ihres grotesken Kopfes wie eine Gottheit diesen phantastischen Krötenchor dirigierte.«
    »Bravo!« rief ich.
    »Dann hatten Sie ›Kröte‹ als Thema? Genau wie ich?« sagte Roma.
    »Genau wie alle anderen. Das Thema hieß für alle ›Kröte‹«, sagte ich.
    »Und dann? Was passierte dann?« fragte Minolta.
    »Nun, als der Maestro sah, daß diese Kröten fähig waren, mitten im Wald ein solches Maß an Schönheit und Harmonie zu erzeugen, wurde ihm eines klar: Die größte Freude, die es für den Menschen geben kann – «
    »Und für die Kröten – « kam es wieder von Roma.
    »– ist, Schönes zu schaffen. Und so kehrte er zu seinem Orchester zurück, schloß mit dem Konzertmeister Frieden, und sie lebten glücklich – als ménage à trois, wenn Sie so wollen, Roma – bis ans Ende ihrer Tage. Es ist eine Art Märchen, es wäre eine Art Märchen, wenn ich es aufgeschrieben hätte.«
    »Ich finde sogar, Sie haben Ihre Sache richtig gut gemacht. Sie haben nichts geschrieben, aber erzählt. Mündlich erzählte Literatur gilt doch auch, oder, Gustavo?«
    »Nein. Es ging ums Schreiben. Geschichten erzählen, das kann jede Klatschtante.«
    »Und was ist mit Caterina Benincasa?« fragte Orion.
    Eine gute Frage, auf die ich nicht mehr antworten konnte. Trindade erschien atemlos auf der Terrasse und sagte, Carlos habe Berzabum, den verteufelten Quarter, satteln lassen, sei losgaloppiert und keiner wisse, wohin. Das sei vor über einer Stunde gewesen, und er, Trindade, mache sich Sorgen. Bis zum Einbruch der Dunkelheit dauere es nicht mehr lange, und er fürchte, daß Carlos sich in den Bergen verirre. Schon einmal habe sich so eine Tragödie abgespielt, ein Reiter habe sich verirrt und sei eine Woche später leblos gefunden worden, er und das Pferd, beide hätten tief in einer Schlucht gelegen. Diese Berge seien tückisch et cetera.
    Während sich das alles abspielte, hüllte sich Guedes, der speckige Polizist, in diskretes Schweigen. Was hatte er eigentlich vor? Wozu war er in Wirklichkeit hergekommen?
    Roma lief zu ihrem Bungalow und holte ihre Erzählung.
    »Zeigen Sie sie niemandem«, sagte sie.
    Es wurde dunkel. Ich nahm Minolta am Arm und sagte zu ihr, es sei Zeit für, sie wisse schon was.
    Irgend jemand hat einmal geschrieben, wirklich gut seien die alten Romane, deren Helden nicht dauernd groteske – ich glaube, es war ein anderes Wort, eins, das mit Zirkus zu tun hat – und hitzige Bumsorgien vollführten. Aber wie hätten sie überhaupt auf irgendeine Weise bumsen sollen, wenn sie, wie die Tiere in Zeichentrickfilmen, nur Figuren waren, die zwar Augen, Nase, Ohren,

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