Bufo & Spallanzani
und noch andere komplizierte Schritte. Er gilt als ein Genie, die Leute kommen, um bei seinen Proben zuzusehen. Ricardo bereitet ein sensationelles Debüt für ihn vor. Ich lese dir jetzt vor, was Roma geschrieben hat: ›Silvio sollte nach Ricardos Vorstellung bei seinem Debüt an einem 17. Mai genau das gleiche Programm tanzen, das Nijinski bei seinem Debüt am 17. Mai 1909 in Paris getanzt hatte, genau das gleiche Repertoire, das aus Le Pavillon d’Armide von Tscherepnin, einem Divertissement mit dem Titel Festin und aus Fürst Igor von Borodin bestand. Die Choreographie war die gleiche, die Fokine für das Debüt des Russen entworfen hatte.‹«
»Was ist ein Divertissement?«
»Also, dieses Festin ist nach dem, was hier steht, eine Art Arrangement auf der Grundlage von Musikstücken verschiedener russischer Komponisten wie Rimsky-Korssakoff, Tschaikowsky, Glasunow und einem pas classique hongrois.«
»Das gefällt mir«, sagte Minolta lachend. »A la mode.«
»Die Originalbühnenbilder und Kostüme, die Kerovine, Benois und Bakst für Nijinskis Debüt in Paris angefertigt hatten, wurden nachgemacht. Nur ein derart ehrgeiziger Mensch wie Berlinsko, sagt Roma, konnte ein derart wahnwitziges Projekt durchführen.«
»War dieser Ricardo in Silvio verliebt?«
»Darüber äußert Roma sich nicht eindeutig, aber ich glaube, ja. Silvios Ballettschuhe sind jetzt aus feinstem Wollsamt, er besitzt Dutzende davon, französische und italienische. Er hat immer eine Garderobe für sich allein zur Verfügung. Als das Premierendatum näherrückt, gehen sie zu ganztägigen Proben über. Die Tänzer, Choreographen, Maskenbildner, Bühnenbildner und der ganze riesige Troß von Leuten, die an der Produktion der Aufführung beteiligt sind, nehmen jetzt ihre Mahlzeiten direkt im Theater ein. Silvio probt mit dem größten Einsatz von allen. Er verschleißt täglich mehrere Paar Ballettschuhe, wiederholt bei seinen Übungen wie ein Besessener so schwierige Schritte wie den grand fouette a la seconde. Et cetera.«
»Du hast mir immer gesagt, daß du Ballett haßt, und jetzt erzählst du mir diese Geschichte mit der größten Begeisterung. Du fügst doch zu dem, was du da liest, garantiert noch etwas hinzu.«
»Romas Text ist interessant. Du solltest ihn lesen. Ich füge überhaupt nichts hinzu.« Ich hielt Minolta die Blätter, die ich in der Hand hatte, vors Gesicht.
»Ich will nicht. Lies mir vor. Oder vielmehr, erzähl die Kurzfassung weiter.«
»Bla, bla, bla, Silvio kann nicht richtig schlafen, er ist sehr nervös et cetera. Roma und Ricardo Berlinsko meinen, das liegt daran, daß Silvio natürlich vor einer so wichtigen Premiere unter starker Anspannung steht. Am 17. Mai, sagt Berlinsko, wird Silvio als der größte Tänzer der Welt dastehen, nur mit Nijinski vergleichbar.«
»Nijinski ist doch der, der verrückt geworden ist und mit Gott geredet hat?«
»Genau der. Also gut, am 17. Mai ist alles vorbereitet, Bühnenbilder und Kostüme sorgfältig nach dem Vorbild der Originalproduktion von 1909 angefertigt, selbst das Colón ist etwas renoviert worden, nicht weil das nötig gewesen wäre; nur weil Ricardo abergläubisch ist, läßt er irgendwelche Arbeiten am Colón durchführen, so wie es beim Châtelet in Paris bei Nijinskis Premiere der Fall war. Ein interessanter Typ, dieser Berlinsko.«
»Meinst du, das ist alles wahr?«
»Ohne jeden Zweifel, meine Liebe. Glaubst du, Roma hätte so viel Phantasie, um sich diese tausend Sachen auszudenken? Silvio kommt früh, drei Stunden vor Aufführungsbeginn, ins Theater. Eineinhalb Stunden lang übt er auf der vom Vorhang verdeckten Bühne, genau wie Nijinski damals im Jahre 1909. Mit Romas Worten: ›Er war großartig, das war kein normaler Mensch da auf der dunklen, leeren Bühne; einmal, nach einem grand jeté, schwebte er reglos in der Luft, wie ein Vogel, wie ein Engel.‹ Nach den Exercices zieht Silvio sich in seine Garderobe zurück, zusammen mit seinem Maskenbildner, einem Ungarn, der mit Zeffirelli zusammengearbeitet hatte, und seinem Friseur, beide direkt aus dem Pariser Salon von Alexandre gekommen. Als er fertig geschminkt ist, kommt die Kostümbildnerin mit ihren Assistenten, sie ziehen Silvio das Kostüm für die erste Ballettnummer an, dieses, wie heißt es doch, laß mich mal nachsehen, ach ja, Le Pavillon d’Armide. All diese Vorbereitungen sind fünf Minuten, bevor der Vorhang hochgeht, beendet. Das Theater ist total ausverkauft; von weither, aus der
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