Bugatti taucht auf
bekam und die Ehe bald geschieden wurde. Pierre saß inzwischen im Vorstand einer Schweizer Bank, und obwohl Patrizia sowieso ein großes Vermögen von zu Hause mitbrachte, hatte sie nun durch den Unterhalt, den ihr Ex-Mann zahlte, wahrscheinlich für immer ausgesorgt. Um nicht ganz untätig zu sein und weil sie ein Händchen für Geschäfte hatte, fing sie an, Immobilien zu vermakeln, und als sie mit den Töchtern von Genf zurück nach Ascona zog, hatten sie und Jordi sich wiedergetroffen.
Er hatte nie geheiratet; eine Zeitlang lebte er mit einer Italienerin aus Bergamo zusammen, die ein Kind von einem Tunesier hatte, der in Frankreich im Gefängnis saß. Danach hatte er verschiedene Liebschaften, von denen keine länger als ein halbes Jahr dauerte; er stellte fest, dass es irgendwann einen Zeitpunkt gab, an dem er die Frau anblickte und nicht sagen konnte, warum er mit ihr zusammen war; dass ihn ihre Gesellschaft langweilte. Vielleicht gab er sich nicht genügend Mühe; aber vielleicht hatte er den Frauen einfach nichts zu sagen, oder jedenfalls schienen seine Worte durch sie hindurchzugehen und nirgendwo anzukommen, und das hinterließ bei ihm einen Sog der Leere und Mutlosigkeit. Er begann sich vor dem Moment zu fürchten, an dem er unweigerlich feststellen würde, dass ihm seine Gefühle – wieder einmal – abhanden gekommen waren.
Er ging dazu über, für den Sex, den er haben wollte, zu bezahlen, und er fand heraus, dass ihm diese Begegnungen mehr Vergnügen bereiteten als die eintönigen Beziehungen, die er kennengelernt hatte. Aber er versuchte, dem allen nicht so viel Bedeutung in seinem Leben einzuräumen, sondern die Dinge einfach und klar zu halten und ansonsten keine Verwicklungen zu verursachen.
Patrizia wiederzutreffen war ein Schock. Es war auf dem Hafenfest der Stadt. Sie lachte lauthals wie ein kleiner Junge und aß während des ganzen Abends ungeniert ein Tartarbrot mit rohen Zwiebeln nach dem anderen.
Sie hatte, anders als die meisten Frauen, mit denen er sonst zusammen gewesen war, keine Probleme, mit denen fertig zu werden sie sich nicht zutrauen würde. »Sie hat nur das Problem mit dem zu vielen Geld«, sagte Jordi bei Gelegenheit. Und das trug dazu bei, dass sie manchmal an den Dingen vorbeischielte.
Patrizia liebte ihn dafür, dass er sich so wenig einschränken ließ, auch wenn sie sich manchmal wünschte, er wäre berechenbarer oder greifbarer. Andererseits bestand seine Zuverlässigkeit nicht darin, dass er ständig anwesend und an ihrer Seite war, sondern dass er sich selber nicht verraten würde und von einer so unbedingten Aufrichtigkeit und Direktheit war, dass er seine Umgebung oft genug verärgerte oder sie sich gar bedroht fühlte.
Dann wieder konnte er schweigsam, ernsthaft und versunken vor sich hin arbeiten und sich tagelang in seine Gedankenwelt zurückziehen, deren vermuteter Abgrund – den sie nie zu sehen bekam, vor dem Jordi sie aber spürbar schützen wollte – Patrizia einige Furcht einjagte. Und es schmerzte sie zu sehen, dass er in diesem Ascona umherging wie ein Fremder, obwohl er hier aufgewachsen war und seine Familie seit drei Generationen hier lebte. Es schmerzte sie zu sehen, wie die Leute ihm zwar freundlich, aber oft auch reserviert begegneten, so als würden sie ihn am liebsten auf eine Armeslänge Abstand halten, als könnte er ihnen irgendwie gefährlich werden und als fänden sie seine bloße Nähe verunsichernd und bedrohlich. Vielleicht verlangte er zu viel, vielleicht forderten die anderen von ihm zu wenig. Etwas jedenfalls stimmte nicht in dem Verhältnis, das er zu dem Ort und das dessen Bewohner zu ihm hatten.
Lucas Tod hatte ihn in einem Maß aufgewühlt, wie Patrizia es vorher nur einmal erlebt hatte, als das Kind seines Bruders auf die Welt gekommen war. Er hatte den Säugling nicht gesehen und erfuhr von der Geburt erst eine Woche später, aber die bloße Mitteilung bewirkte, dass er in Tränen ausbrach. Er lief die Treppe in ihrem Haus auf und ab, zehn, fünfzehn, zwanzig Mal, röchelnde kieksende Schreie ausstoßend wie ein kaputtes Saxophon, dann fing er an, auf der Stelle zu hüpfen, er riss sie hoch und schwenkte sie durch die Luft, und dann rannte er hinaus, schwang sich auf sein Motorrad und war bis zum nächsten Morgen verschwunden.
7
Dann hatte Jordi genug vom Warten. An einem Samstagnachmittag fuhr er zum Haus der Mezzanottes. Alles war ruhig. Wieso hatte er sich vorgestellt, das Haus würde belagert werden und er könnte
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