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Bugatti taucht auf

Bugatti taucht auf

Titel: Bugatti taucht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Loher
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ich allerdings nicht.«
    Sie sagte es in der ihr eigenen bestimmten Art, der vermeintlich nicht widersprochen werden sollte, aber gut, wie Jordi sie kannte, wusste er, dass sie insgeheim neugierig war. »Es wird sich finden«, sagte er.
    Emile kam wieder herein und schlug vor, eine Partie Schach zu spielen. Sie setzten sich ins Wohnzimmer, das Brett stand bereit. Jordi dachte, er könnte jetzt »Manuel« sagen oder »Luca«, und die Nennung des Namens allein würde zwei völlig verschiedene Reaktionen bei seinem Vater hervorrufen, oder sie würde beide Male auf Desinteresse stoßen, oder er würde das eine Mal mit Schweigen antworten und nur das andere Mal etwas zu sagen haben. Er erwähnte keinen der beiden Namen. Dann stellte er sich vor, dass es dem Vater vielleicht ähnlich ging, dass er gerne fragen würde,
und wo sind dein Bruder Manuel, Danila und der Junge, der mein Enkel ist?
, oder dass er dachte,
wenn Luca noch am Leben wäre, würdest du heute nicht hier sitzen
, und dass er, Jordi, das eine Mal antworten und reden und erklären und bitten würde, und das andere Mal aus Verlegenheit schweigen.
    Emile spielte schnell und konzentriert. Seine Züge waren Jordi vertraut, und er wehrte sich nicht dagegen, in die Enge getrieben zu werden. Emile schlug ihn ohne zu zögern. Als Jordi gehen wollte, sagte der Vater, er habe eine neue Erfindung gemacht. Es handle sich dabei um ein Verfahren, mit dem man verhindern könne, dass beim Unterwasserschweißen der Wasserstoff ins Metall eindringe. Er wolle es aufzeichnen und die dazugehörige Formel notieren, aber er sei noch nicht fertig, denn er habe geglaubt, er könne sich damit Zeit lassen, solange Jordi in Venezuela sei. Er drückte ihn an sich. Von dort fuhr Jordi zu Patrizias Haus; im ersten Stock brannte noch Licht. Sie schliefen miteinander, fast ohne Worte.

4
    Patrizia meinte oft, dass Jordi die Dinge dramatisiere. Er hingegen fand, er sei nur realistischer als sie. Nicht, dass er etwas gegen ihre Familie hatte oder gegen die ihres Ex-Mannes, aber wenn man von Hause aus so viel Geld besaß und nicht mehr zu arbeiten brauchte, dann sah man die Verhältnisse nicht mehr klar, man verlor die richtige Einschätzung für sie und begann zu idealisieren. Er dachte nicht, dass man als Einwanderer das riesengroße Los gezogen hatte, wenn die Schweiz einen aufnahm. Warum. Als Einwanderer konnte man vieles falsch machen, und die Schweizer achten drauf, wer du bist und was du tust; es gab Länder, da wollte man seine Nachbarn im Ort nicht kennen, hier war es anders. Die Schweiz war ein kleines, intimes Land, und es existierten sicher Gegenden auf der Welt, wo dir deine Fehler eher verziehen wurden. Fehler zu machen hieß in der Schweiz, nicht ordentlich genug zu sein. Ordentlich, gewaschen, arbeitsam, gut bei Kasse. Und natürlich Christ. Die Schweiz war nichts für Aussteiger. Das Leben hier hatte seinen Preis, und den musste man zahlen wollen, sagte Jordi. Und dennoch oder gerade deshalb war er sicher, dass es der reine Zufall war, dass drei junge Männer vom Balkan Luca ermordet hatten. Der reine Zufall. Sie hätten genauso gut seit Generationen gebürtige Tessiner sein können. Oder Deutsche oder Japaner oder Neuseeländer, sie hätten von überall und irgendwoher sein können. Sie hätten irgendjemand oder irgendjemand anders sein können.
    »Es geht nicht um Zeitarbeiterkinder«, sagte Jordi zu Patrizia. »Es geht nicht um Kriegsflüchtlinge. Es geht schon gar nicht um Ausländer. Es geht um drei Jungs, die Scheiße gebaut haben. Große Scheiße, die sie der Familie von Luca zu fressen gegeben haben. Ich entschuldige mich für den Ausdruck. Große Scheiße, an der sie selber ihr Leben lang fressen werden. Hinzu kommt, was die drei danach getan haben, wie sie sich danach verhalten haben. Gehen sie hin und sagen, es tut uns leid, es ist nicht wiedergutzumachen, wir haben euren Sohn umgebracht, wir wünschten, wir könnten es rückgängig machen. Sagt uns, was wir tun können, als Strafe, und damit unsere Schuld um ein weniges abgetragen wird. Nein, das haben sie nicht getan, und das haben sie nicht gesagt. Sie haben es nicht kapiert. Und das ist böse.«
    Und Jordi dachte, es sollte doch möglich sein, der Aufregung um die drei Täter, ihre Familien, ihre Herkunft und ihre Gefährlichkeit eine andere Handlung entgegenzusetzen, die den Ausschlag dieser Waage veränderte; etwas Schwerwiegendes, das man nicht ignorieren, nicht wegmessen, nicht verwerfen konnte; etwas

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