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Bugatti taucht auf

Bugatti taucht auf

Titel: Bugatti taucht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Loher
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groß wie ein Kronkorken, der letzte Rest, dem weder die Feuchtigkeit noch Ritas Zerpflückungswut etwas anhaben könnten, und die Mitte dieses Bierfilzes würde zwischen ihnen auf dem Tisch liegen, umgeben von flockenhaften Pappeteilchen, die beinahe aussahen wie Sand.
    »Nein, ich glaube nicht, dass sie sich umgebracht haben. In Cannobio waren sie eine Woche auf Urlaub. Danach hatten sie Zimmer in Turin bestellt und wollten einen Sprachkurs machen. – Aber was weiß man schon.«
    Rita drehte ihr Bierglas; sie drehte ihr Bierglas so, dass es immer genau in der Mitte des Deckels blieb.
    »Sie sahen scheußlich aus. Als ich sie gefunden habe, sahen sie scheußlich aus.«
    »Ja, wer kann ahnen, was ihnen in Cannobio zugestoßen ist. Oder davor. Oder etwas ist
nicht
passiert, obwohl sie vielleicht gewartet und darauf gehofft hatten.« Rita sagte es träumerisch.
    »Worauf?«
    »Keine Ahnung. Auf irgendetwas eben.«
    Jordi machte einen zustimmenden Laut und trommelte mit den Fingern auf dem Tisch.
    »Ich bin dreißig Jahre lang da runtergetaucht. Mehr als dreißig Jahre, egal. Als ich das Auto gefunden hab, das war 1967. Irgendwann hab ich mal ein paar Fotos gemacht, mit einer Kleinbild-Unterwasserkamera. Die Fotos waren zum Spaß, mich hat die Kamera viel mehr interessiert als das komische Auto. Es lag auf der Seite, auf der linken Seite, nehme ich an, verschüttet bis zu den Rädern, war ja auch schon seit dreißig Jahren da unten, angeblich. Die zwei Räder rechts ragten noch heraus, mit Schutzblech. Wir haben immer wieder ein bisschen dran rumgekratzt, aber da war nichts zu machen. Der ganze Schlamm, der Sand, festgebackt, wie in Zement. Aber das weißt du besser als ich. Bin mit dem ein oder anderen Taucher hin, das war ein gutes Ziel, wenn sie so weit waren fürs 50 m-Tauchen. Man konnte dabei zuschauen, wie das Teil immer weiter zugedeckt wurde von dem Schlamm, im Lauf der Jahre. Und wie der Rest allmählich zerfallen ist. Wird nicht viel übrig sein. Weggefressen alles. Was damals noch zu sehen war, die Schutzbleche, Räder, Speichen, Reifen, wird verrostet und zerbröselt sein, wird sich aufgelöst haben im Wasser, nehme ich an, oder. Korrosion, über siebzig Jahre, stell dir vor. Nichts zu machen. Aufgelöst, einfach aufgelöst. So wird’s sein.«
    Rita sah Jordi jetzt spöttisch an. Als wollte sie sagen: Beweis doch das Gegenteil, wenn du kannst.
    »Und was wissen Sie über die Geschichte? Was hat man sich erzählt, damals?«
    »Gerüchte.«
    Jordi lachte, er lachte ungehalten und versuchte, seinen Ärger zu unterdrücken.
    »Klar.«
    Es schien, als würde Baldi ein ganz klein wenig den Mund verziehen. Freundlicher. Sie überlegte, sah sich in der Kneipe um, atmete ein paar Mal laut.
    »Wenn du den ausgräbst, den Karren, vorausgesetzt, da ist überhaupt noch etwas dran, und es stellt sich raus, es ist etwas Schönes, auf seine Art etwas Schönes, dann ruf mich an und sag mir Bescheid. Dann komme ich mit meiner alten Taucherausrüstung und schaue mir das an. Bevor du ihn hochholst. Die Luft verträgt er gar nicht mehr, da sollst du dich drum kümmern, denk dran. – Das wird mein letzter Tauchgang werden, auf dieser Welt jedenfalls.«
    Sie hustete, sie amüsierte sich auf ihre Art.
    Vorsichtig, wie es nicht seine Art war, sie kostete ihn Überwindung, diese versöhnliche Geste, schob Jordi die Rechte über den Tisch und bot sie Baldi an. Die schlug wortlos ein, sie drückte zweimal kräftig zu.
    »Zu Zippo musst du gehen.«
    Jordi schaute fragend.
    »Kennst du nicht Zippo?«
    »Der Bauunternehmer? Der arbeitet schon lange nicht mehr.«
    »Hat aber was zu erzählen. Leoni Zippo. Merk’s dir. Und denk an die Luft.«
    Dann nahm Rita Baldi das Halbliterglas und leerte es in einem einzigen Zug aus.
    »Jetzt können wir trinken.«

9
    Jordis Großvater Max, der das Unternehmen gegründet hatte, war ein Schmied und ein Schlosser, aber das ist zu wenig gesagt. Er konnte nicht lange zur Schule gehen, seine Familie hatte nichts, er musste sehen, dass er Geld verdiente. Er ist aus den Walliser Bergen in Richtung Lago Maggiore gezogen, weil er das Wasser liebte, weil er in den Süden wollte. Weiter ist er nicht gekommen, denn da traf er die Frau, die Jordis Großmutter werden sollte. Sie stammte aus Apulien und wollte in den Norden, in die Berge, und also blieben sie im Tessin. Max baute und reparierte Brückengeländer und Regenrinnen, Garagendächer, Bahnschienen und Gartenzäune. Wenn er schweißte, stellte er sich

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