Bugatti taucht auf
was Jordi zu sagen hatte. Sie hatte beide Hände um das Glas gelegt, das genau mittig auf dem Deckel stand, und blickte kaum auf. Wenn, dann warf sie Jordi einen blitzschnellen, taxierenden Blick zu.
»Wissen Sie, wie lange ich nicht mehr da unten war? Fünfzehn Jahre. Fünfzehn Jahre ist das jetzt her.«
Sie machte eine Pause und schien sich in Gedanken in die Zeit zurückversetzen zu wollen.
»Ich habe keine Ahnung, wirklich keine Ahnung, wie es dort jetzt aussieht. In fünfzehn Jahren kann viel passieren.«
Jordi machte eine abwiegelnde Handbewegung.
»Darum geht es ja nicht«, erklärte er noch mal. Er machte eine Pause, und wie um ein Einverständnis herzustellen mit Baldi, »ich tauche auch nicht mehr so viel wie früher«.
»Ach.« Baldi warf ihm einen ihrer schnellen Blicke zu. Jordi hatte einen Moment lang das unangenehme Gefühl, sie nehme ihn nicht ernst.
»Ja. – Aber was wissen Sie? Was wissen Sie über das Auto?«
»Nichts. Nichts weiß ich. Was ich damals gefunden und gesehen habe, meine Güte … da gab es nur so Vermutungen.«
»Sie haben Fotos. Oder nicht? Sie haben damals Fotos gemacht.«
»Das ist – hm –«, Baldi rechnete, »über vierzig Jahre her.« Sie hustete ein stockendes Lachen in sich hinein. »Du meine Güte, einundvierzig Jahre.«
»Wie sah es damals aus da unten? Was konnten Sie erkennen?«
Rita hustete wieder ihr Lachen und nahm sich Zeit, ihr Bier auszutrinken.
»Schwarz-weiße Fotos, auf denen man –.«
»Was, auf denen man was?«
»Ein Metallstück vielleicht, ein Schutzblech, einen Reifen …«
Sie drehte das leere Bierglas in der Hand. Jordi winkte dem Kellner, ihr noch eins zu bringen. Rita hob abweisend den Kopf, zum ersten Mal sah sie Jordi voll an, ihre Augen waren ganz klar.
»Das kann alles Mögliche sein, Jordi. Alles Mögliche.«
»Aber Sie glauben nicht, dass es alles Mögliche ist, oder? Sonst hätten Sie die Fotos nicht gemacht. Sie glauben daran, dass es ein Bugatti ist, der da unten liegt, unversehrt unter dem Schlamm, und dass man ihn hochschaffen kann, und dass er es wert ist.«
Das Bier kam nun doch. Rita ließ es stehen, lehnte sich zurück, wischte sich mit der schmalen, feinen Hand über den Mund, als hätte sie Schaum dort.
»Nein«, sagte sie und sah Jordi lächelnd an, und in dem Lächeln lag eine kaum merkbare Provokation. »Das glaubst du.«
Jordi schwieg kampfbereit.
»Jordi Polar –. Bist du nicht der, der vor drei oder vier Jahren die beiden Amerikanerinnen aus dem See gefischt hat. Die zwei, die wochenlang vermisst waren, und dann stellte sich raus, dass sie von der Straße abgekommen waren und mitsamt dem Auto im See gelandet. Bist du nicht der?«
»Molly Poxx und Geneviève Poxx, aus England waren sie. Und ganz schön verrückt, glaube ich. Traurige Sache. Sie saßen in ihren Sitzen und waren immer noch festgeschnallt, anscheinend haben sie nicht mal versucht, sich zu befreien.«
»Haben sie sich umgebracht, was meinst du?«
Rita schien interessiert daran, eine griffige Geschichte zu hören.
»Ich habe nur gehört, dass sie abenteuerlustig waren, und neugierig. – Aber was weiß man schon.«
»Was heißt das, in diesem Fall?«
Jordi wartete. Er hatte keine große Lust, Ritas Neugier zu befriedigen. Er wollte die beiden Engländerinnen nicht diesem spöttischen Blick preisgeben. Dann tat er es doch.
»Sie waren Mutter und Tochter, die eine Mitte sechzig, die andere um die vierzig. Aus Berkhamsted sagte man, nahe London. Alleinstehend. Zu Hause haben sie die Zimmerpflanzen verschenkt, und Briefe sollte man postlagernd schicken. So viel hat die Polizei rausgefunden.«
Eine Pause, Ritas Hände drehten wieder an ihrem Glas, es musste immer der gleiche konzentrische Kreis sei, es ließ sie ungeduldig und gleichzeitig pedantisch wirken. Jordi redete weiter, als könnte er diesen pedantischen Kreis dadurch zerstören oder Ritas Hände zum Stillstand bringen oder, noch besser, dazu, das Bier einmal neben dem Deckel abzustellen, und dann würde Rita den Deckel nehmen, ihn auf der Tischplatte hin und her rollen, er würde durch ein paar nasse Flecke rollen, die die Bedienung nicht weggewischt hatte, und seine Ränder würden aufgeweicht werden, und an den Stellen, wo die Pappe aufquoll, würde Rita beginnen, Fetzchen davon abzuziehen und zwischen den Fingern zu zerkrümeln; sie würde damit fortfahren, bis der Bierdeckel so klein geworden wäre, dass nur noch die runde Mitte übrig wäre, die trocken und hart wäre und so
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