Buh: Mein Weg zu Reichtum, Schönheit und Glück (German Edition)
ging los in seiner Wohnung am Wittenbergplatz bis hier nach Friedrichshagen und auch in der letzten halben Stunde, in der sich Christiane redlich bemüht, ganz Hausfrau zu sein.
»Wie wollen Sie das Stück denn nun machen? Zum Beispiel die Brecht-Szene?«, bohrt Botho Strauß weiter.
Ich sage: »Auftritt Brecht …«
»Aber Brecht kommt doch in der Szene gar nicht vor«, sagt Botho Strauß mit einem leicht nervösen Zittern seiner linken Augenbraue.
»Das stimmt, aber bei mir kommt er vor«, sage ich.
Die Augenbraue von Botho Strauß zittert jetzt mehr, sie vibriert wie ein blühender Ast im Frühling oder wie ein junges Mädchen nach dem ersten Kuss. Sein Blick fällt in seinen Kaffee, der so dünn ist, dass man auf den Grund der Tasse sehen kann, und der nun, da er bisher zögerte, davon zu trinken, kalt ist. Kalt ist auch die Atmosphäre hier im Raum. Draußen ist Sommer, die Sonne scheint.
»Die Arbeiter«, erkläre ich naiv, »tragen weiße Overalls.« Dabei erwische ich meine Hand dabei, wie sie eine leicht tuntige Bewegung macht, als gehöre sie einem Modedesigner aus der französischen Provinz. »Und sie ziehen an einem Seil, während sie Texte aus der ›Maßnahme‹ skandieren. Und dann kommt der Dialog, der ja in ihrem Stück drin ist, über das Theater als Recyclingbetrieb immer wiederkehrender Ideen oder so ähnlich.«
Botho Strauß hat seine Augenbraue jetzt unter Kontrolle. »Welcher Text?«, fragt er.
»Na, dieser Text«, sage ich, nun doch etwas unsicher geworden, »mit dem Recyclingbetrieb im Theater. Ich meine, ich kann den Text jetzt nicht auswendig …«
Und genau das scheint Botho Strauß zu ärgern, dass ich den Text noch nicht auswendig kann. »Und was passiert dann?«, fragt er mich. Seine Stimme ist belegt.
»Dann ziehen die Arbeiter Maschinenpistolen aus den Taschen und ballern Brecht weg.«
»Aber«, sagt Botho Strauß, »das hab ich nicht geschrieben.« Seine Augen füllen sich mit Tränen.
»Aber jetzt kommt das Ding«, sage ich und lache schon mal vor, quasi um mich rückzuversichern. Ich versuche ihm zu signalisieren, dass er jederzeit die Möglichkeit hat, das Ganze auch als Scherz aufzufassen. »Brecht steht wieder auf, und dann schießen sie wieder, und Brecht stirbt wieder, und dann steht er wieder auf. So geht das eine ganze Weile.«
»Aha«, sagt Botho Strauß, »aber warum?«
»Weil Brecht ist nicht totzukriegen«, sage ich. »Lacher.«
»Wie bitte?«, sagt Botho Strauß.
»Na, da lachen die Leute«, sage ich.
»Aha«, sagt Botho Strauß.
Es ist eine Weile still im Raum.
»Ein bisschen Spaß muss sein«, sage ich.
»Aha«, sagt Botho Strauß und nickt.
»Noch Kaffee?«, fragt Christiane und bekommt keine Antwort.
42 LIEBE
LIEBE
42 »GLAUBEN SIE, DASS MAN SIE benachteiligt, Herr Haußmann?«, fragt der Psychologe.
»Wie meinen Sie das?«
»Ich meine, fühlen Sie sich zurückgesetzt?«
»Von wem?«
»Von der Gesellschaft.«
»Von welcher Gesellschaft?«
»Wissen Sie wirklich nicht, was ich meine?«
»Nein.«
Wenn der mich für so dämlich hält, dass ich mich von einem so allgemeinen Begriff wie ›Gesellschaft‹ herabgesetzt fühlen würde, dann weiß ich den weiteren Sinn dieses Gespräches nicht einzuschätzen. Wie kann ich mich denn von der gesamten Gesellschaft herabgesetzt fühlen? Was meint der mit Gesellschaft, meint der die gesellschaftlichen Umstände oder die gesellschaftlichen Verhältnisse oder die Gesellschaft an sich als eine Ansammlung von individuellen Meinungsträgern, die mir das Leben schwer macht, weil sie mich nicht leiden kann? Glaubt der, dass ich so eine verschwommene Sicht auf die Umstände habe, in denen ich mich bewege? Oder könnte es wirklich sein, dass ich einer von denen bin, die eine groß angelegte Verschwörung gegen die eigene Person empfinden, sich eine Axt besorgen und sie in ihrer Aktentasche verwahren, durchaus auch, um sie gegebenenfalls zu verwenden, wie Graf Öderland mit der Axt in der Hand? Das ist ja praktisch aus dem kleinen Hobby-Täschchen für Psychologen und alle, die es werden wollen.
»Was soll das hier werden?«, frage ich den Psychologen. »Sie wollen mir eine Paranoia anhängen, das soll das hier werden. Aber jetzt sage ich Ihnen mal was, guter Mann, der Sie mein Sohn sein könnten …« Der Psychologe tut mir jetzt schon ein bisschen leid, auch weil er errötet wie ein Schulmädchen, das man bei schweinischen Gedanken erwischt hat, aber es gibt jetzt für mich kein Zurück mehr: »Ja, ich
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